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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2005 — 2006

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I. Das Geschäftsjahr 2005
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Antrittsreden
DOI Artikel:
Pfanner, Nikolaus: Antrittsrede vom 19. Februar 2005
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https://doi.org/10.11588/diglit.67593#0114
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Nikolaus Pfänner | 127

Mehrere Jahre schwankte ich zwischen einer Laufbahn in der praktischen
Medizin und der Grundlagenforschung. So wählte ich mir drei mögliche Fächer für
die Promotion aus: Radiologie, Kardiologie und Biochemie. Meine Nachfragen in
den ersten beiden Fächern nach einem interessanten Thema für die Promotion
waren nicht befriedigend, so dass ich schließlich bei Walter Neupert, dem Schüler
und Nachfolger von Theodor Bücher in der Münchner Biochemie, anfragte. Nach
einem kurzen Zögern, ob ein Mediziner in der Biochemie auch am richtigen Platz
sei, bot Walter Neupert mir eine Promotionsstelle an. Von nun an ließ mich die
Grundlagenforschung nicht mehr los und die praktische Medizin war schnell ver-
gessen. Wenn mich heutzutage ein Familienmitglied nach einem Rezept fragt, ist
meine Antwort, dass es besser sei, einen richtigen Doktor aufzusuchen.
Das zentrale Thema meiner Forschungsarbeiten ist der Aufbau lebender Zellen
und zwar die Frage, wie die Proteine, das sind praktisch die Arbeiter der lebenden
Zellen, ihren richtigen Arbeitsplatz finden. Ein Mensch besteht aus ca. 1013 bis 1014
Zellen. Trotz der großen Fülle verschiedener Zelltypen, wie z.B. Nervenzellen,
Leberzellen und Nierenzellen, sind alle Zellen nach einem gleichen Bauplan aufge-
baut, der bis zu den Pilzen konserviert ist. So können wir mit relativ einfachen Zel-
len wie der Bäckerhefe viele grundlegende Prinzipien der Zellfunktionen untersu-
chen. Dabei sind die Gene wie eine Bibliothek, hier ist das Wissen gespeichert.
Damit die Zellen jedoch funktionieren, d.h. leben können, brauchen sie viele tau-
send verschiedene Arbeiter, die Proteine.
Für den geordneten Ablauf des Stoffwechsels ist die Kompartimentierung der
Zellen durch innere Membranen ganz entscheidend. Die Zellen werden damit in
zahlreiche Zellorganellen unterteilt. Man kann sich eine Zelle vorstellen wie eine
Stadt im Miniaturformat mit vielen verschiedenen Fabriken und Häusern, dazu
zählen der Zellkern mit den Genen, molekulare Kraftwerke (die sog. Mitochon-
drien), Produktionsstätten für Proteine, und Recycling-Anlagen. Damit eine Zelle
arbeiten kann, müssen nun die Proteine an den richtigen Platz, d.h. zur richtigen
Zellorganelle gebracht werden.
Der Schwerpunkt meiner Arbeitsgruppe betrifft die Frage, wie die Kraft-
werke, die Mitochondrien, zusammengebaut werden. Dazu müssen etwa 1000 ver-
schiedene Proteine in die Mitochondrien transportiert und oft zu molekularen
Maschinen assembhert werden. Im Laufe der Jahre konnten wir wichtige Teile des
mitochondrialen Apparats für den Import von Proteinen aufklären. Wir entdeckten
molekulare Pförtner, Schleusen und Anstandsdamen, sog. „molecular chaperones“,
die den Proteinen helfen, den richtigen Weg zu finden. Wie im makroskopischen
Leben haben diese Anstandsdamen die Aufgabe, falsche Bindungen zu verhindern
und richtige Bindungen zu fordern.
Das Faszinierende an diesen Untersuchungen war, dass — je weiter wir in die
molekularen und atomaren Details vordrangen — die Modelle nicht komplizierter,
sondern eher einfacher wurden. Die Funktionen der Proteine und molekularen
Maschinen lassen sich oft durch einfache mechanische Modelle erklären, so dass wir
heute glauben, zumindest einige der Prozesse verstehen zu können. Zum jetzigen
Zeitpunkt sind unsere Arbeiten Grundlagenforschung. Es gibt jedoch bereits gute
 
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