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NACHRUFE
anregenden sprachwissenschaftlichen Übungen und Seminaren zum Alt- und Mit-
telindischen und zu wenig beachteten Sprachen in Randgebieten des südasiatischen
Raumes lehrte er keineswegs immer nur, was er zuvor schon intensiv studiert hatte:
vielmehr ließ er sich durchaus auch auf Themen ein, die ihn lockten, weil sie ihm
noch fremd waren, unerforschte Flecken in der weiten und vielgestaltigen Landschaft
seines geistigen Interesses. Es waren meist seine Schüler, die ihn in solche Bereiche
lockten, wenn sie ihm ihre zunächst noch vagen Interessen verrieten, sei es im
Bereich der indischen Philosophie, der Medizin, Astronomie und Astrologie, Epik,
Mystik oder religiösen Dichtung.
Keines dieser Themen gehörte zu Hermann Bergers ursprünglich eigenem
Forschungsbereich. Er war Linguist aus Leidenschaft und auf diesem Gebiet em be-
gnadeter und begeisternder Lehrer und Forscher. Aber Perlen für die Sprachwissen-
schaft lassen sich, wie Berger mehrfach gezeigt hat, in Texten aller Wissensgebiete
entdecken und je unbekannter diese ihm waren, desto wacher wurde sein Interesse.
Für die Lehre bedeutete dies, dass sie gelegentlich als gemeinsame Entdeckungsreise
für Fortgeschrittene angelegt war und dass seine Schüler dabei nicht nur lernten, ein
neues Thema wissenschaftlich zu erschließen, sondern auch auf die Form der sprach-
lichen Vermittlung kultureller Inhalte zu achten. Es konnte nicht ausbleiben, dass sich
mehrere seiner Schüler von ihm anregen ließen, den Wortschatz, die Phonetik und
die Grammatik von einer der zahlreichen, kaum bekannten Sprachen in den Rand-
und Rückzugsgebieten Indiens zu dokumentieren und zu analysieren. Das dazu
erforderliche Instrumentarium lässt sich, wie Bergers eigene frühe Arbeiten zeigen,
auch auf Sprach- und Wortformen des Alt- und Mittelindischen anwenden: histo-
rische Sprachwissenschaft und die Forschung an Sprachen lebender Randgruppen
gingen bei Berger und seinen Studenten Hand in Hand. Dr. Norihiko Ucida, der
Erste von Bergers Schülern, der in Heidelberg promoviert wurde und der später
in Kobe (Japan) gelehrt hat, widmete sich em ganzes Forscherleben lang einem
typischen Berger-Thema: Zehn altertümlichen Dialekten aus Saurashtra (Nordwest-
indien), die durch Migration ihrer Träger in mehreren Etappen nach Südindien
gelangten und sich dort im tamilsprachlichen Bereich bis heute (in teilweiser Sprach-
vermischung) erhalten haben. Zwei weitere seiner Schüler — Dieter B. Kapp in Köln,
Claus Peter Zoller in Oslo - setzen die Tradition der Dokumentation und sprachge-
schichtlichen Einordnung unerforschter Sprachen in den Randgebieten der domi-
nanten indischen Regionalsprachen noch heute in Forschung und Lehre fort. Zu
nennen ist ferner Thomas Malten (jetzt in Köln), der das Interesse seines Lehrers an
Zigeunern im Süden Indiens aufgegriffen und über die Sprache der Vagri gearbeitet
hat. Er ist es auch, der sich, ebenso wie Thomas Lehmann, ernsthaft dem Studium
des Tamil zuwandte, was Berger schon frühzeitig als dringendes Desiderat empfun-
den hatte. Damit kommt eine der besonders reichen Kultursprachen Indiens in der
deutschen Indologie der Gegenwart zu angemessener Beachtung. Schießlich sind
auch George Baumann und Karl-Heinz Grüßner zu nennen — der eine auf das west-
indische Alt-Gujarati, der andere auf das nordostindische Mikir und Khasi speziali-
siert: Beide haben ihre bei Berger erworbenen Kenntnisse nutzbringend in der Uni-
versitätsbibliothek der Universität Tübingen eingesetzt und das Sondersammelgebiet
der DFG für südasiatische Literatur entscheidend gefördert.
NACHRUFE
anregenden sprachwissenschaftlichen Übungen und Seminaren zum Alt- und Mit-
telindischen und zu wenig beachteten Sprachen in Randgebieten des südasiatischen
Raumes lehrte er keineswegs immer nur, was er zuvor schon intensiv studiert hatte:
vielmehr ließ er sich durchaus auch auf Themen ein, die ihn lockten, weil sie ihm
noch fremd waren, unerforschte Flecken in der weiten und vielgestaltigen Landschaft
seines geistigen Interesses. Es waren meist seine Schüler, die ihn in solche Bereiche
lockten, wenn sie ihm ihre zunächst noch vagen Interessen verrieten, sei es im
Bereich der indischen Philosophie, der Medizin, Astronomie und Astrologie, Epik,
Mystik oder religiösen Dichtung.
Keines dieser Themen gehörte zu Hermann Bergers ursprünglich eigenem
Forschungsbereich. Er war Linguist aus Leidenschaft und auf diesem Gebiet em be-
gnadeter und begeisternder Lehrer und Forscher. Aber Perlen für die Sprachwissen-
schaft lassen sich, wie Berger mehrfach gezeigt hat, in Texten aller Wissensgebiete
entdecken und je unbekannter diese ihm waren, desto wacher wurde sein Interesse.
Für die Lehre bedeutete dies, dass sie gelegentlich als gemeinsame Entdeckungsreise
für Fortgeschrittene angelegt war und dass seine Schüler dabei nicht nur lernten, ein
neues Thema wissenschaftlich zu erschließen, sondern auch auf die Form der sprach-
lichen Vermittlung kultureller Inhalte zu achten. Es konnte nicht ausbleiben, dass sich
mehrere seiner Schüler von ihm anregen ließen, den Wortschatz, die Phonetik und
die Grammatik von einer der zahlreichen, kaum bekannten Sprachen in den Rand-
und Rückzugsgebieten Indiens zu dokumentieren und zu analysieren. Das dazu
erforderliche Instrumentarium lässt sich, wie Bergers eigene frühe Arbeiten zeigen,
auch auf Sprach- und Wortformen des Alt- und Mittelindischen anwenden: histo-
rische Sprachwissenschaft und die Forschung an Sprachen lebender Randgruppen
gingen bei Berger und seinen Studenten Hand in Hand. Dr. Norihiko Ucida, der
Erste von Bergers Schülern, der in Heidelberg promoviert wurde und der später
in Kobe (Japan) gelehrt hat, widmete sich em ganzes Forscherleben lang einem
typischen Berger-Thema: Zehn altertümlichen Dialekten aus Saurashtra (Nordwest-
indien), die durch Migration ihrer Träger in mehreren Etappen nach Südindien
gelangten und sich dort im tamilsprachlichen Bereich bis heute (in teilweiser Sprach-
vermischung) erhalten haben. Zwei weitere seiner Schüler — Dieter B. Kapp in Köln,
Claus Peter Zoller in Oslo - setzen die Tradition der Dokumentation und sprachge-
schichtlichen Einordnung unerforschter Sprachen in den Randgebieten der domi-
nanten indischen Regionalsprachen noch heute in Forschung und Lehre fort. Zu
nennen ist ferner Thomas Malten (jetzt in Köln), der das Interesse seines Lehrers an
Zigeunern im Süden Indiens aufgegriffen und über die Sprache der Vagri gearbeitet
hat. Er ist es auch, der sich, ebenso wie Thomas Lehmann, ernsthaft dem Studium
des Tamil zuwandte, was Berger schon frühzeitig als dringendes Desiderat empfun-
den hatte. Damit kommt eine der besonders reichen Kultursprachen Indiens in der
deutschen Indologie der Gegenwart zu angemessener Beachtung. Schießlich sind
auch George Baumann und Karl-Heinz Grüßner zu nennen — der eine auf das west-
indische Alt-Gujarati, der andere auf das nordostindische Mikir und Khasi speziali-
siert: Beide haben ihre bei Berger erworbenen Kenntnisse nutzbringend in der Uni-
versitätsbibliothek der Universität Tübingen eingesetzt und das Sondersammelgebiet
der DFG für südasiatische Literatur entscheidend gefördert.