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Burkhardt, Julia; Thomas; Burkhardt, Julia [Hrsg.]
Von Bienen lernen: das "Bonum universale de apibus" des Thomas von Cantimpré als Gemeinschaftsentwurf : Analyse, Edition, Übersetzung, Kommentar (Teilband 1): Analyse und Anhänge — Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.56852#0043
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II. Das Werk

schnell zu erfassen: Wer sich dem Urteil eines Apostolischen Legaten entzieht, es
verspottet oder ihm den Gehorsam verweigert, geht seiner Frömmigkeit und Got-
tesnähe verlustig.
Um diese Botschaft und die Schwere ihrer Folgen zu verdeutlichen, bedient sich
der Autor zweier Gewährsquellen. Der zentrale Akteur der Geschichte ist nicht ir-
gendein kirchlicher Gesandter, sondern mit Hugo von Segni (ca. 1170-1241), dem
späteren Gregor IX. (seit 1227), eine den Zeitgenossen bekannte Persönlichkeit; der
Verweis auf den als „mendikantenfreundlich“ geltenden Gregor IX. impliziert über-
dies einen Ausweis der besonderen Nähe des Gewährsmannes zu den Mendikanten
im Allgemeinen und den Dominikanern im Besonderen, denen Stephan von Bourbon
selbst angehörte.9 Als ebenso typisch wie die Nennung eines prominenten Hauptak-
teurs muss es freilich gelten, dass der Erzählweg selbst unklar bleibt - Stephan von
Bourbon beschränkt sich auf ein vages „ich habe gehört“ und macht damit einen
Nachvollzug der Geschichte unmöglich.10 Wesentlich ausschlaggebender ist ohnehin
die zweite „Gewährsquelle“: Das im Exempel angezeigte menschliche Fehlverhalten
wird nicht etwa durch den urteilenden Legaten offengelegt, sondern durch die über
dem Haus des Streitführers nistenden Störche.11 Während ihr Beispiel zunächst einen
lebensweltlichen Anknüpfungspunkt darstellt, der für alle Leser oder Zuhörer ver-
ständlich und vielleicht auch erheiternd gewesen sein dürfte, klingt zugleich eine
theologische Ausdeutung an. Es sind die im Mittelalter als fromme vorausschauende
Tiere und göttliche Diener geltenden Störche, die den Rezipienten der Geschichte
gemahnen, das kirchliche Urteil gleichermaßen zu fürchten und zu respektieren.12
Auch mit dieser Bezugnahme, der Heranziehung von Lebewesen und Phänomenen
der Natur, die gleichsam zum „Gottesdienst“, zum Lehrstoff und Handlungsvorbild
der Gläubigen werden sollten,13 ist ein Charakteristikum zahlreicher Exempel des
13. Jahrhunderts angesprochen.
Anders als in vielen Exempelgeschichten wird die bei Stephan von Bourbon über-
lieferte Storchengeschichte jedoch nicht mit einer Ausdeutung beschlossen; die
Kernaussage der Geschichte ist vielmehr im ersten Satz des Abschnittes folgender-
maßen zusammengefasst: „Tiere lehren uns, das Urteil der Exkommunikation
zu fürchten und zu achten, und dies tun sie durch ein Beispiel und ein göttliches
9 Zum Verhältnis Gregors IX. zu den Mendikanten s. die Beiträge in: Gregorio IX e gli ordini men-
dicanti.
10 S. dazu Polo de Beaulieu, L‘emergence de l’auteur sowie Polo de Beaulieu, Les mentions.
11 Grundlegend zur Tierallegorie in mittelalterlichen Exempeln: Polo de Beaulieu, Du bon usage de
l’animal. S. außerdem (mit Blick auf Vincent von Beauvais) van den Abeele, Vincent de Beauvais
naturaliste.
12 Zur Bedeutung des Storches im Mittelalter s. Berlioz, Le bei oiseau ambigu, Okubo, Notre-Dame
ou la fille du Diable sowie Hünemörder, Art. „Storch“.
13 Hünemörder, Die Vermittlung medizinisch-naturwissenschaftlichen Wissens, hier S. 258. S. au-
ßerdem Meyer, Zum Verhältnis.
 
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