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Burkhardt, Julia; Thomas; Burkhardt, Julia [Editor]
Von Bienen lernen: das "Bonum universale de apibus" des Thomas von Cantimpré als Gemeinschaftsentwurf : Analyse, Edition, Übersetzung, Kommentar (Teilband 1): Analyse und Anhänge — Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.56852#0049
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II. Das Werk

exemplarische Erzählungen durchaus auch situative Handlungsoptionen bzw. -emp-
fehlungen und damit auch Weisungen in die Zukunft aufgezeigt werden können (ent-
sprechend der dritten These). Eine solche, weitaus explizitere Darstellung findet sich
im Bonum universale de apibus des Thomas von Cantimpre.38 In BUA 11,43 setzt sich
Thomas unter dem Lemma „Die (frommen) Bienen kennen die Zeiten im Voraus“ mit
der Herausforderung auseinander, dass das ganze Leben auf allen Zeitebenen, also
„in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft durch vorsorgende Umsicht geschützt
werden muss“.39 Zur Erläuterung dieser Anforderung berichtet Thomas von einem
jungen König, der auf einem Markt einen alten Mann sitzen sieht und ihn fragt, was
er zu verkaufen habe. Als der alte Mann sich als Philosoph zu erkennen gibt und be-
hauptet, Weisheit im Angebot zu haben, wird der junge König neugierig und erkauft
für 100 Mark folgenden Ratschlag: „Sprich nichts planlos, versuche nichts planlos,
ohne zuvor nachzudenken, was folgt“ (Temere nil loquaris, temere nil attemptes, nist
prius cogites, quid sequatur). Beeindruckt von der Gewichtigkeit dieses Ratschlages
lässt der junge König das gekaufte Sprichwort in die Türbalken des Palastes, in
Tische, in goldene Becher und in Handtücher einprägen. Er entwickelt sich zu einem
tugendhaften und weisen Herrscher, wird aber im Laufe der Zeit mit einer wachsen-
den Adelsopposition konfrontiert, aus der eines Tages sogar ein Mordkomplott her-
vorgeht. Weiter heißt es:
„Die Adeligen [...] heuerten insgeheim einen gewissen Barbier an, damit er den König
in seinem Gemach beim Rasieren mit dem Rasiermesser töte. Als der König sich also
mit gewaschenem und geglättetem Bart zum Rasieren begab, las der besagte Barbier
auf dem Handtuch, das um den Hals des Königs lag: Versuche nichts planlos, wenn du
nicht zuvor bedacht hast, was folgt/ Und erschreckt über seinen Vorsatz des schreckli-
chen Verbrechens, erblasste der Barbier und zog seine zitternde Hand zurück.“40
In ähnlicher Form findet sich diese Geschichte auch im Tractatus des Stephan von
Bourbon und in den (später zusammengestellten) Gesta Romanorum ,41 Die Frage
38 S. zum Werk die ausführlichen Darlegungen in Kapitel II.3. und II.4.
39 Thom. Cantimpr. BUA 11,43,1: ... quo perlucide datur intelligi, omnem vitam nostram etpreterri-
tis, presentibus etfuturis oportere provida circumspectione muniri.
40 Pro quo nobiles sui in seditionem versi, cum nequaquam in manifesto propter favorem populi
contra eum anderen! aliquid attemptare, occulte rasorem quemdam precio conduxerunt, ul regem
in conclavi radendum novacula iugularet. Ergo ubi rex Iota et adlentata barba se radendum exhi-
buit, dictus rasor in manutergio, quod erat circa collum regis, scriptum legit: Nil temere attemptes
nisi prius cogites, quid sequatur. Et sic proposito horrendi sceleris pavefactus expalluit et manum
tremulam mox retraxit. Thom. Cantimpr. BUA 11,43,2. Der Barbier wird übrigens gegen seinen
Willen zur Informationsquelle des Geschehens: Der König lässt ihn foltern und entlockt ihm so die
gesamte Verschwörung.
41 Stephani de Borbone Tractatus I, lib. 11,1,1. 660-685, S. 28-29; Gesta Romanorum, hg. Oesterley,
Cap.103 (Nr. 95), S. 431-434. S. zum Exempelgebrauch in den Gesta auch Schwarzbach-Dobson,
Exemplarisches Erzählen, S. 207-237.
 
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