II.3. Die ideale Gemeinschaft
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Eine dominikanische Propagandaschrift?
Den ersten Zugang zu dem Werk erleichtert immerhin der Widmungsbrief des Au-
tors, der Angaben zur Entstehung, zu Quellen, zu Adressaten und zur didaktischen
Konzeption enthält und somit als Prolog fungiert.115 Der Brief ist an Humbert de
Romanis (1200-1277) gerichtet, der von 1254 bis 1263 als Generalmagister dem
Dominikanerorden vorstand.116 Aus der expliziten Adressierung Humberts als Or-
densmagister (... fratri Humberto, magistro ordinis predi catorum) wurde verschie-
dentlich auf die Datierung des „Bienenbuchs“ geschlossen, das demnnach spätestens
1263 abgeschlossen worden wäre.117 Obgleich diese Vermutung plausibel erscheint,
legen die Angaben des Autors im weiteren Verlauf des Werkes nahe, dass Thomas
von Cantimpre seine Sammlung auch danach noch sukzessive erweiterte oder über-
arbeitete. An verschiedenen Stellen finden sich nämlich Hinweise auf ein „gegenwär-
tiges Jahr“, die miteinander nicht immer deckungsgleich sind: Während Thomas bei-
spielsweise in BUA 11,57,42 von 1258 als anno presenti berichtet, datiert er in BUA
11,29,22 eine Episode über den vermeintlichen Ritualmord durch die Juden von
Pforzheim auf 1261 anno presenti (oder je nach handschriftlicher Überlieferung
1271, vgl. hierzu Kapitel I.4.).
Ein weiterer Hinweis im Widmungsbrief scheint eine zeithistorische Verortung
des Werkes zu erlauben. Nach Darlegungen des Thomas von Cantimpre zu den von
ihm verwendeten Quellen und der Struktur des gesamten Werkes findet sich folgende
Bemerkung:
„Und ich, der ich freilich unwürdig bin, habe aufgrund Eures Befehls die Kühnheit
dieses Werkes unternommen: denn Ihr habt in einem gewissen Generalkapitel den
Brüdern befohlen, dass sie in den einzelnen Ordensprovinzen erinnerungswürdige
Dinge aufschreiben sollen, wenn sich durch die Brüder oder wegen der Brüder oder
sonstiges den Brüdern Bekanntes ereignet hätte“.118
115 Grundlegend zum Quellenwert von Prologen: Berlioz/Polo de Beaulieu, Les prologues sowie
Polo de Beaulieu, Les mentions.
116 S. zu Humberts Biographie Brett, Humbert of Romans, Heintke, Humbert von Romans sowie
Murray, Religion among the poor. S. außerdem Schmidt, Allegorie und Empirie, S. 316-318.
117 Eine abweichende Lesart bietet dagegen, allerdings mit vollkommen unverständlicher Argumenta-
tion, Ruiz Astiz. Er liest in der Handschrift Pamplona, Archive General de Navarra, cod. L. 21, die
wie alle anderen bekannten Handschriften die Widmung an Humbert enthält, eine „clara alusion“ auf
Albertus Magnus und datiert das Werk deshalb auf 1261. S. Ruiz Astiz, Tomas de Cantimprato, S. 150.
118 Thom. Cantimpr. BUA prol.: Et ego quidem indignus ex mandato vestro huius operis audaciam
sumpsi, cum in quodam capitulo generali fratribus demandastis, ut in singulis provinciis digna
memorie scriberentur, si per fratres vel occasione fratrum sive alias nota fratribus contigissent.
S. zu dieser Kontextualisierung jüngst Holloway, Making of an Order.
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Eine dominikanische Propagandaschrift?
Den ersten Zugang zu dem Werk erleichtert immerhin der Widmungsbrief des Au-
tors, der Angaben zur Entstehung, zu Quellen, zu Adressaten und zur didaktischen
Konzeption enthält und somit als Prolog fungiert.115 Der Brief ist an Humbert de
Romanis (1200-1277) gerichtet, der von 1254 bis 1263 als Generalmagister dem
Dominikanerorden vorstand.116 Aus der expliziten Adressierung Humberts als Or-
densmagister (... fratri Humberto, magistro ordinis predi catorum) wurde verschie-
dentlich auf die Datierung des „Bienenbuchs“ geschlossen, das demnnach spätestens
1263 abgeschlossen worden wäre.117 Obgleich diese Vermutung plausibel erscheint,
legen die Angaben des Autors im weiteren Verlauf des Werkes nahe, dass Thomas
von Cantimpre seine Sammlung auch danach noch sukzessive erweiterte oder über-
arbeitete. An verschiedenen Stellen finden sich nämlich Hinweise auf ein „gegenwär-
tiges Jahr“, die miteinander nicht immer deckungsgleich sind: Während Thomas bei-
spielsweise in BUA 11,57,42 von 1258 als anno presenti berichtet, datiert er in BUA
11,29,22 eine Episode über den vermeintlichen Ritualmord durch die Juden von
Pforzheim auf 1261 anno presenti (oder je nach handschriftlicher Überlieferung
1271, vgl. hierzu Kapitel I.4.).
Ein weiterer Hinweis im Widmungsbrief scheint eine zeithistorische Verortung
des Werkes zu erlauben. Nach Darlegungen des Thomas von Cantimpre zu den von
ihm verwendeten Quellen und der Struktur des gesamten Werkes findet sich folgende
Bemerkung:
„Und ich, der ich freilich unwürdig bin, habe aufgrund Eures Befehls die Kühnheit
dieses Werkes unternommen: denn Ihr habt in einem gewissen Generalkapitel den
Brüdern befohlen, dass sie in den einzelnen Ordensprovinzen erinnerungswürdige
Dinge aufschreiben sollen, wenn sich durch die Brüder oder wegen der Brüder oder
sonstiges den Brüdern Bekanntes ereignet hätte“.118
115 Grundlegend zum Quellenwert von Prologen: Berlioz/Polo de Beaulieu, Les prologues sowie
Polo de Beaulieu, Les mentions.
116 S. zu Humberts Biographie Brett, Humbert of Romans, Heintke, Humbert von Romans sowie
Murray, Religion among the poor. S. außerdem Schmidt, Allegorie und Empirie, S. 316-318.
117 Eine abweichende Lesart bietet dagegen, allerdings mit vollkommen unverständlicher Argumenta-
tion, Ruiz Astiz. Er liest in der Handschrift Pamplona, Archive General de Navarra, cod. L. 21, die
wie alle anderen bekannten Handschriften die Widmung an Humbert enthält, eine „clara alusion“ auf
Albertus Magnus und datiert das Werk deshalb auf 1261. S. Ruiz Astiz, Tomas de Cantimprato, S. 150.
118 Thom. Cantimpr. BUA prol.: Et ego quidem indignus ex mandato vestro huius operis audaciam
sumpsi, cum in quodam capitulo generali fratribus demandastis, ut in singulis provinciis digna
memorie scriberentur, si per fratres vel occasione fratrum sive alias nota fratribus contigissent.
S. zu dieser Kontextualisierung jüngst Holloway, Making of an Order.