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II. Das Werk
Das lässt sich als Anspielung auf die Beschlüsse der dominikanischen Generalkapitel
von Mailand (1255) und Paris (1256) lesen, bei denen zur Sammlung von zuvor undo-
kumentierten Wundern des heiligen Dominikus aufgerufen worden war. Die auf die-
se Weise zusammengetragenen Wunder, Visionen oder Episoden aus der Ordensge-
schichte sollten, so formulierte man es zunächst in Mailand, ad utditatem futurorum
im Dominikanerorden zur Verfügung gestellt werden. Die Mailänder Beschlüsse
lassen somit primär den Versuch der Sicherung einer genuin dominikanischen Ge-
schichte erkennen. Zusammen mit den Pariser Beschlüssen, die die Mailänder Be-
stimmungen zunächst konfirmierten und zugleich alle Brüder anhielten, sich einheit-
lich und ausschließlich als „Predigerbrüder“ (fral res praedicalores) zu bezeichnen,
tritt jedoch die Bemühung um die Schaffung einer einheitlichen Ordensidentität stär-
ker hervor.119 Tatsächlich entstanden in der Folgezeit verschiedene belehrende und
programmatische Abhandlungen, welche die Struktur und das Funktionieren des
Ordens erklären und somit für seine Mitglieder versteh- und nutzbar machen wol-
len.120 Auch das „Bienenbuch“ ließe sich also sinnhaft in diesem programmatischen
Rahmen verorten. Allerdings findet sich der entsprechende Autorenhinweis nur in
zwölf Handschriften; es ist deshalb ebenso denkbar, dass die Textstelle im Nachhin-
ein in den Prolog inseriert wurde, um die Entstehung des „Bienenbuchs“ mit dem
Wissen um den historischen Kontext zu erläutern und zu kontextualisieren (vgl. hier-
zu ausführlich Kapitel IV.2.2).
Trotz derartiger Bedenken ist dem „Bienenbuch“ eine gezielte Programmatik zu-
gunsten der Dominikaner wie auch allgemein der Bettelorden kaum abzusprechen.
Das zeigt auch der im Widmungsbrief formulierte Wunsch des Thomas von Cantim-
pre, sein Werk möge „unseren verschiedenen Häusern, Söhnen und Brüdern zum
schnellen Abschreiben aufgetragen werden, damit der heilige Samen reichlich an die
Enkel der Söhne übertragen wird.“121 Zu einem derartigen Engagement für die Zu-
kunft des eigenen Ordens mag einerseits der erste „Generationswechsel“ im Domini-
kanerorden nach dem Tod der Gründergeneration motiviert haben.122 Einen maßgeb-
lichen Beitrag dürften andererseits aber auch die großen klerikal-monastischen
Auseinandersetzungen der Zeit geleistet haben. So hielten beispielsweise die im Pa-
riser „Mendikantenstreit“ formulierten Zweifel an der Berechtigung der Bettelorden
zu Predigt und Lehre die Orden der Dominikaner wie Franziskaner zu einer reflek-
tierten Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Position, ihren Funktionsprinzipien
119 Acta Capitulorum I, S. 76 und 81f. S. außerdem Dücker, Vorstellungen von Gemeinschaft.
120 S. dazu Schürer, Das Exemplum, besonders S. 117-121 sowie Melville, Duo novae conversatio-
nes.
121 Thom. Cantimpr. BUA prol.: A te igitur, pater sancte, laboris mei Studium corrigatur et correctum
diversis domibus, filiis et fratribus nostris rescribendum ocius ordinetur, ul in nepotes filiorum
seinen sanctum uberius transfundatur.
122 Hierzu maßgeblich Schürer, Das Exemplum, S. 37 sowie Schürer, Die Dominikaner.
II. Das Werk
Das lässt sich als Anspielung auf die Beschlüsse der dominikanischen Generalkapitel
von Mailand (1255) und Paris (1256) lesen, bei denen zur Sammlung von zuvor undo-
kumentierten Wundern des heiligen Dominikus aufgerufen worden war. Die auf die-
se Weise zusammengetragenen Wunder, Visionen oder Episoden aus der Ordensge-
schichte sollten, so formulierte man es zunächst in Mailand, ad utditatem futurorum
im Dominikanerorden zur Verfügung gestellt werden. Die Mailänder Beschlüsse
lassen somit primär den Versuch der Sicherung einer genuin dominikanischen Ge-
schichte erkennen. Zusammen mit den Pariser Beschlüssen, die die Mailänder Be-
stimmungen zunächst konfirmierten und zugleich alle Brüder anhielten, sich einheit-
lich und ausschließlich als „Predigerbrüder“ (fral res praedicalores) zu bezeichnen,
tritt jedoch die Bemühung um die Schaffung einer einheitlichen Ordensidentität stär-
ker hervor.119 Tatsächlich entstanden in der Folgezeit verschiedene belehrende und
programmatische Abhandlungen, welche die Struktur und das Funktionieren des
Ordens erklären und somit für seine Mitglieder versteh- und nutzbar machen wol-
len.120 Auch das „Bienenbuch“ ließe sich also sinnhaft in diesem programmatischen
Rahmen verorten. Allerdings findet sich der entsprechende Autorenhinweis nur in
zwölf Handschriften; es ist deshalb ebenso denkbar, dass die Textstelle im Nachhin-
ein in den Prolog inseriert wurde, um die Entstehung des „Bienenbuchs“ mit dem
Wissen um den historischen Kontext zu erläutern und zu kontextualisieren (vgl. hier-
zu ausführlich Kapitel IV.2.2).
Trotz derartiger Bedenken ist dem „Bienenbuch“ eine gezielte Programmatik zu-
gunsten der Dominikaner wie auch allgemein der Bettelorden kaum abzusprechen.
Das zeigt auch der im Widmungsbrief formulierte Wunsch des Thomas von Cantim-
pre, sein Werk möge „unseren verschiedenen Häusern, Söhnen und Brüdern zum
schnellen Abschreiben aufgetragen werden, damit der heilige Samen reichlich an die
Enkel der Söhne übertragen wird.“121 Zu einem derartigen Engagement für die Zu-
kunft des eigenen Ordens mag einerseits der erste „Generationswechsel“ im Domini-
kanerorden nach dem Tod der Gründergeneration motiviert haben.122 Einen maßgeb-
lichen Beitrag dürften andererseits aber auch die großen klerikal-monastischen
Auseinandersetzungen der Zeit geleistet haben. So hielten beispielsweise die im Pa-
riser „Mendikantenstreit“ formulierten Zweifel an der Berechtigung der Bettelorden
zu Predigt und Lehre die Orden der Dominikaner wie Franziskaner zu einer reflek-
tierten Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Position, ihren Funktionsprinzipien
119 Acta Capitulorum I, S. 76 und 81f. S. außerdem Dücker, Vorstellungen von Gemeinschaft.
120 S. dazu Schürer, Das Exemplum, besonders S. 117-121 sowie Melville, Duo novae conversatio-
nes.
121 Thom. Cantimpr. BUA prol.: A te igitur, pater sancte, laboris mei Studium corrigatur et correctum
diversis domibus, filiis et fratribus nostris rescribendum ocius ordinetur, ul in nepotes filiorum
seinen sanctum uberius transfundatur.
122 Hierzu maßgeblich Schürer, Das Exemplum, S. 37 sowie Schürer, Die Dominikaner.