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II. Das Werk
Der Bienenkönig
Bevor sich der Leser mit dieser Bimienliierarchie näher auseinandersetzt, hat er -
eine Lektüre des gesamten Werkes vorausgesetzt - bereits umfassende Kenntnisse
zum Bienenkönig angesammelt, dem Buch I gewidmet ist.177 In den 25 Kapiteln die-
ses Buches werden zahlreiche moralische und charakterliche Anforderungen an den
Vorsteher oder Bienenkönig formuliert, die auch aus den Schriften Senecas oder Gil-
berts von Tournai bekannt sind: die Milde des Königs (symbolisiert in der Idee der
Stachellosigkeit), seine Strenge oder seine Kontrollfunktion.
Der prelatus ist für die Leitung der Gemeinschaft ebenso wie für die Wahrung
oder notfalls Herstellung ihrer inneren Ordnung zuständig. Zu seinen Kernaufgaben
gehören folglich die Organisation der Gemeinschaft, die Kontrolle, Belehrung und
Unterweisung ihrer Mitglieder sowie die Bestrafung möglicher Regelabweichungen.
Thomas begreift die Würde eines Vorstehers als ein göttliches Ehrenamt, für dessen
Erlangung zwei Bedingungen erfüllt sein müssen: die von Gott bestimmte sittliche
Eignung sowie die Wahl des Anwärters durch die betreffende Gemeinschaft.178
Da die Untergebenen mit der Wahl auch die Idoneität des Kandidaten anerkennen,
müssen für dessen Amtsausübung gewisse Maßstäbe gelten. Allen voran steht die
Anforderung einer mustergültigen Lebensführung. So solle der prelatus statt mit
Furcht oder Strenge sein Volk mit Liebe und Milde beherrschen, ihm durch seine
Lebensweise und seinen Gerechtigkeitssinn ein Vorbild geben und vorausschauen,
wohin zu streben und wie zu leben sei. Ein solcher Bienenkönig ist durch seine sittli-
che Eignung honigfarben, aufgrund seiner Reputation „wie aus erlesener Blüte ge-
wählt“ und deshalb für jeden gemacht.179
In Analogie zu dieser Gedankenführung vom König zu den Untergebenen ist der
Aufbau des ersten Buchs als Zyklus über die Amtsführung des Vorstehers zu verste-
hen. Während der Anfang des Buches den Voraussetzungen des Vorsteheramtes, dem
Charakter des Amtsinhabers und seinen Insignien gewidmet ist, wird der Blick in
den folgenden Kapiteln erweitert und auf die Interaktion von Vorsteher und Unterge-
benen gelenkt.
Im Mittelpunkt der ersten Kapitel (BUA 1,1-3) stehen die Wahl des Bienenkönigs
und die charakterlichen Anforderungen an ihn. In den Abschnitten BUA 1,4-9 wer-
den sodann die Vorstellungen zur beschriebenen Herrschaft, zum Auftreten des
pars apum est, que fuce dicuntur. Hec sine aculeo sunt velud imperfecte apes) und ebd. 11,5 (Iste
sunt quasi clientes et quasi servitia primarum et verarum apum).
177 Grundlegend zum Bienenkönig (über die Interpretation des „Bienenbuchs“ hinausgehend): Peil,
Untersuchungen, S. 235-251.
178 Konsequenterweise kann eine Wahl auch gegen den Willen eines Kandidaten geschehen, wenn
dieser seine von Gott zugewiesenen Eignung nicht selbst erkennt. S. dazu das Exempel zur Bi-
schofswahl in Thom. Cantimpr. BUA 1,2,3. Zum Stellenwert der Superiorenwahl im Dominikaner-
orden s. Tugwell, Evolution IV.
179 Thom. Cantimpr. BUA 1,1,5: Hie est rex, prelatus apum fidelium, qui mellei coloris existens ex
electo flore et omni copia factus sit.
II. Das Werk
Der Bienenkönig
Bevor sich der Leser mit dieser Bimienliierarchie näher auseinandersetzt, hat er -
eine Lektüre des gesamten Werkes vorausgesetzt - bereits umfassende Kenntnisse
zum Bienenkönig angesammelt, dem Buch I gewidmet ist.177 In den 25 Kapiteln die-
ses Buches werden zahlreiche moralische und charakterliche Anforderungen an den
Vorsteher oder Bienenkönig formuliert, die auch aus den Schriften Senecas oder Gil-
berts von Tournai bekannt sind: die Milde des Königs (symbolisiert in der Idee der
Stachellosigkeit), seine Strenge oder seine Kontrollfunktion.
Der prelatus ist für die Leitung der Gemeinschaft ebenso wie für die Wahrung
oder notfalls Herstellung ihrer inneren Ordnung zuständig. Zu seinen Kernaufgaben
gehören folglich die Organisation der Gemeinschaft, die Kontrolle, Belehrung und
Unterweisung ihrer Mitglieder sowie die Bestrafung möglicher Regelabweichungen.
Thomas begreift die Würde eines Vorstehers als ein göttliches Ehrenamt, für dessen
Erlangung zwei Bedingungen erfüllt sein müssen: die von Gott bestimmte sittliche
Eignung sowie die Wahl des Anwärters durch die betreffende Gemeinschaft.178
Da die Untergebenen mit der Wahl auch die Idoneität des Kandidaten anerkennen,
müssen für dessen Amtsausübung gewisse Maßstäbe gelten. Allen voran steht die
Anforderung einer mustergültigen Lebensführung. So solle der prelatus statt mit
Furcht oder Strenge sein Volk mit Liebe und Milde beherrschen, ihm durch seine
Lebensweise und seinen Gerechtigkeitssinn ein Vorbild geben und vorausschauen,
wohin zu streben und wie zu leben sei. Ein solcher Bienenkönig ist durch seine sittli-
che Eignung honigfarben, aufgrund seiner Reputation „wie aus erlesener Blüte ge-
wählt“ und deshalb für jeden gemacht.179
In Analogie zu dieser Gedankenführung vom König zu den Untergebenen ist der
Aufbau des ersten Buchs als Zyklus über die Amtsführung des Vorstehers zu verste-
hen. Während der Anfang des Buches den Voraussetzungen des Vorsteheramtes, dem
Charakter des Amtsinhabers und seinen Insignien gewidmet ist, wird der Blick in
den folgenden Kapiteln erweitert und auf die Interaktion von Vorsteher und Unterge-
benen gelenkt.
Im Mittelpunkt der ersten Kapitel (BUA 1,1-3) stehen die Wahl des Bienenkönigs
und die charakterlichen Anforderungen an ihn. In den Abschnitten BUA 1,4-9 wer-
den sodann die Vorstellungen zur beschriebenen Herrschaft, zum Auftreten des
pars apum est, que fuce dicuntur. Hec sine aculeo sunt velud imperfecte apes) und ebd. 11,5 (Iste
sunt quasi clientes et quasi servitia primarum et verarum apum).
177 Grundlegend zum Bienenkönig (über die Interpretation des „Bienenbuchs“ hinausgehend): Peil,
Untersuchungen, S. 235-251.
178 Konsequenterweise kann eine Wahl auch gegen den Willen eines Kandidaten geschehen, wenn
dieser seine von Gott zugewiesenen Eignung nicht selbst erkennt. S. dazu das Exempel zur Bi-
schofswahl in Thom. Cantimpr. BUA 1,2,3. Zum Stellenwert der Superiorenwahl im Dominikaner-
orden s. Tugwell, Evolution IV.
179 Thom. Cantimpr. BUA 1,1,5: Hie est rex, prelatus apum fidelium, qui mellei coloris existens ex
electo flore et omni copia factus sit.