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Burkhardt, Julia; Thomas; Burkhardt, Julia [Hrsg.]
Von Bienen lernen: das "Bonum universale de apibus" des Thomas von Cantimpré als Gemeinschaftsentwurf : Analyse, Edition, Übersetzung, Kommentar (Teilband 1): Analyse und Anhänge — Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.56852#0095
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II. Das Werk

Gespür für die Dramaturgie einer Erzählung. Er lässt die ängstliche Frau unter Eid
versprechen, alles zu tun, was er zu raten hat und sagt:
,„Ich befehle Dir, dass wenn jener oder ein anderer Priester dir Gewalt beim Küssen
oder bei Berührungen antun will, du dem, der dich berührt, mit geballter Faust fest
den Kuss herausschlägst, wenn du kannst, und ihn dabei auf keine Weise schonst,
weil es erlaubt ist, die Keuschheit mit einem Schlag zu schützen so wie das Leben des
eigenen Körpers/ Als ich dies sagte, rief ich bei allen, die dort waren, und auch bei
dem Mädchen selbst, größtes Gelächter und Heiterkeit hervor.“222
Die Verweise auf Thomas’ Informanten dienen indes nicht ausschließlich der inhalt-
lichen Sicherung. Immer wieder scheint durch Anmerkungen zu oder Schilderungen
von direkten Unterhaltungen auf, dass Thomas sich in einem beständigen Austausch
mit seinen Zeitgenossen befand.223 Dialoge und konkrete Gesprächssituationen bil-
den dabei nicht nur den Rahmen vieler Erzählungen, sondern prägen auch den Text-
gehalt maßgeblich. Vielfach werden Unterredungen zwischen unterschiedlichen
Charakteren wiedergegeben und unterstreichen so die unmittelbare Lebensnähe des
Berichteten. Nicht untypisch ist außerdem die transzendente Übertragung von Ge-
sprächssituationen ins Jenseits oder aber als Dialoge mit menschlichen Seelen oder
gar Dämonen.224 Ein besonders eindrückliches Beispiel für diesen Kontext ist die in
BUA 1,17,5 berichtete Episode über die Sitzung eines Gerichts unter der Leitung der
Jungfrau Maria, vor dem sich die Seele eines Sünders verantwortet. Indem Thomas
die Unterredung zwischen dem Gericht der Heiligen und der Seele beinahe protokol-
lartig wiedergibt, entfaltet sein in eine konkrete Gesprächssituation eingebetteter Be-
richt eine besondere Dynamik. Sie dürfte auch die Vermittelbarkeit der Exempel in
Predigt oder Seelsorgegespräch wesentlich erhöht haben.225
Gewissermaßen als Überhöhung dieser dialogischen Binnenstruktur sind schließ-
lich die kontinuierlichen Ansprachen des Autors an seine Rezipienten zu verstehen:
Durch Formulierungen wie tu, lector wird der zumeist explizit als Leser (und nicht
Hörer) bezeichnete Rezipient im gesamten Werk immer wieder direkt adressiert, auf
222 Thom. Cantimpr. BUA 11,30,51: Sub prestito iuramento tibi precipio, ul si Ule vel alius presbiter
violentiam tibi in osculis vel contrectactionibus facere voluerit, contracto pugno valide osculum,
si potes, excutias contrectanti, nee in hoc ulli ordini parcas, quia castitatem tueri licet verbere
sicut corporis vitam. Hec ut dixi, omnes, qui aderant, et ipsam puellam in risum maximum et leti-
tiam concitavi. Zur Bedeutung von Gelächter in monastischen bzw. kirchlichen Kontexten s. Ferm,
Laughter, Resnick, Risus monasticus sowie LeGoff, Lachen, S. 45-68.
223 Grundlegend zur Bedeutung oraler Quellen in Exempelsammlungen (am Beispiel zisterziensischer
Texte): Polo de Beaulieu, Traces d’oralite. Zur Bedeutung des Gesprächs zwischen Religiösen s.
außerdem van Houts, Conversations sowie Mostert, Orality, Non-Written Communication.
224 S. beispielsweise den Bericht über ein Zwiegespräch zwischen Thomas (als Seelsorger) und einem
Dämon, der in eine Frau gefahren ist: Thom. Cantimpr. BUA 11,57,67.
225 S. hierzu Weigand, Historiographie, Exempel und Predigt.
 
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