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Gerhohus; Becker, Julia [Hrsg.]; Insley, Thomas [Übers.]
Gerhoch von Reichersberg, Opusculum de aedificio Dei: die¬ Apostel als Ideal : Edition, Übersetzung, Kommentar (Teilband 1): Einleitung, Verzeichnisse und Edition mit Übersetzung Opusculum de aedificio Dei — Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.65331#0064
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3.2 Innovationscharakter des Textes?

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gerade erst im Begriff ist zu entstehen.327 Sicherlich inspiriert durch Rupert von
Deutz (ca. 1075-1130) und Hugo von St. Viktor (ca. 1096-1141) sieht Gerhoch nur
über die vita apostolica, die unweigerlich mit gemeinschaftlicher Lebensweise und
persönlicher Armut verbunden ist, den Zugang zum ewigen Leben in der Einheit mit
Christus und der Kirche gewährleistet.328
Zukunftsweisend ist vor allem die Art und Weise, wie er seine Reformforderun-
gen zu untermauern versucht. In neuartiger, „wissenschaftlicher“ Manier belegt er
seine Thesen am Rand des Haupttextes durch autoritativ abgesicherte Zitate aus
Papstdekreten und Konzilsbeschlüssen. Die innovative Leistung, die Gerhoch bei
der Zusammenstellung seiner Randglossen zugeschrieben werden kann, liegt darin
begründet, dass er dabei wesentlich auf zeitgenössische kanonistische Rechtssamm-
lungen zurückgreift. Die von Gerhoch benutzten Kanonessammlungen - hier zu
nennen sind vor allem diejenige Ivos von Chartres, Anselms von Lucca, Deusdedits
und Placidus‘ von Nonantola - entstanden fast alle im Zuge des ,Investiturstreits‘,
der Auseinandersetzung zwischen regnum und sacerdotium, und trugen zu einer
ersten thematischen Systematisierung der überlieferten kanonistischen Quellen
bei.329 Diese Entwicklung wird durch die Kompilation der Concordia discordantium
canonum durch den Bologneser Rechtsgelehrten Gratian (f ca. 1150) perfektioniert.
Doch auch Gratian speiste wiederum in vielen Fällen sein Wissen aus anderen zeit-
genössischen Kanonessammlungen, vor allem aus der Collectio canonum Anselms
von Lucca.330 331
Das Neuartige an Gerhochs erster großer Reformschrift mag daher weniger im
ideellen Bereich liegen - seine Forderungen lassen sich alle eher unter dem Begriff
der Renovation der Rückbesinnung auf urkirchliche Traditionen, fassen -, als viel
mehr in der methodischen Konzeption seines Werks. Durch den großen Anteil an
zeitgenössischen kanonistischen Rechtssammlungen, mit deren Hilfe er versucht,
seine Forderungen zu kommentieren, durchzusetzen und „wissenschaftlich“ zu bele-
gen, trägt er nicht nur zur Verfügbarmachung und thematischen Systematisierung
von Wissen bei, sondern liegt damit auch im aktuellen Trend seiner Zeit.

327 „In seinem Liber de aedificio Dei öffnet er [Gerhoch] den Laien, die in der Welt bleiben wollen, den
Weg zu einer Lebensform, die der vita apostolica, dem Innovationsbegriff des 12. Jahrhunderts
schlechthin, vergleichbar ist.“ Hehl, Innovatio/Renovatio, S. 27-28.
328 Zur Auslegung der vita apostolica bei Rupert von Deutz und Hugo von St. Viktor vgl. Lapsanski,
Perfectio evangelica, S. 5-8.
329 Vgl. Fuhrmann, Einfluß und Verbreitung, Bd. 2, S. 509-562.
330 Vgl. Landau, Gratians unmittelbare Quellen, S. 170-173; Fuhrmann, Einfluß und Verbreitung,
Bd. 2, S. 563-585. Um die enge Verflechtung Gratians mit diesen durch die Kirchenreform an-
geregten Kanonessammlungen zu verdeutlichen und die Vermittlerposition Gerhochs dabei her-
auszustellen, wird im Zitationsapparat der Autoritätenedition auch jeweils auf die entsprechende
Stelle im Decretum Gratiani (ed. Friedberg) verwiesen. Siehe auch Einleitung, Kap. 4.2.4.
331 Vgl. Hehl, Innovatio Renovatio. S. 21-22.
 
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