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Über das Bauwerk Gottes - 1. Prolog
123
Es beginnt der Prolog, gerichtet an einen gewissen Priester
Es steht geschrieben, dass der ausgezeichnete Patriarch Isaak im Land, in
dem er ein Fremdling war, vier Brunnen grub. Den ersten nannte er
„Verleumdung“, den zweiten nannte er „Feindseligkeit“, deswegen, weil er
Verleumdungen und Feindseligkeiten erlitt, als sich die Hirten von Gerar 5
um das Wasser jener Brunnen mit ihm stritten. Er grub einen dritten
Brunnen, dem er den Namen „Weiter Raum“ gab, weil es um diesen keinen
Streit gab. Den vierten nannte er „Überfluss“, weil er auch um ihn keinen
Streit führen musste. In Christus, Teuerster, zwingst Du mich dazu, mich an
die Verleumdungen und an die Feindseligkeiten zu erinnern, die ich einst 10
erlitten habe, als die Hirten von Gerar sich deswegen mit mir stritten, weil
ich es wagte, die von den Philistern mit Erde zugeschütteten Brunnen
wieder auszugraben, im Streben, zu dem lebendigen Wasser zu gelangen,
unter Zurückweisung des trüben Wassers, das heißt des entstellten
Lebenswandels der Kleriker, der von der Reinheit der apostolischen Ader, 15
aus welcher der geistliche Stand seinen Anfang nahm, allzu sehr
abgewichen ist.
Als ich also begonnen hatte, durch das Schreiben gleichsam wie durch
Graben diese Wasserader zu suchen, da entfachten die Hirten von Gerar, die 20
Freunde der Philister, das heißt der Abtrünnigen, gegen mich, gegen meine
Wenigkeit großen Streit. Sie empörten sich, als ich den ersten Brunnen
grub, das heißt, als ich jenes Buch, das Du jetzt von mir forderst, meinem
Herrn seligen Angedenkens Kuno1, Bischof der Regensburger Kirche, zum
Lesen vorlegte, damit, wenn es ihm gut schmecke, er in dieser Kirche selbst 25
vom lebendigen Wasser trinke und es anderen zum Trinken gebe. Ich
erinnere mich voller Freude daran, dass dies auch tatsächlich geschah; denn
0 Konrad I. von Raitenbuch, auch Kuno von Regensburg (* um 1070, /■ 19. Mai 1132); Konrad
war Abt des von Fruttuaria reformierten Klosters Siegburg (1105-1126) und Bischof von
Regensburg von 1126 bis 1132. Er öffnete die Regensburger Diözese allmählich für die Reform
im Sinne Hirsaus und Fruttuarias. Vgl. CLASSEN, Gerhoch, S. 34; SEMMLER, Klosterreform, S.
46-48.
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Über das Bauwerk Gottes - 1. Prolog
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Es beginnt der Prolog, gerichtet an einen gewissen Priester
Es steht geschrieben, dass der ausgezeichnete Patriarch Isaak im Land, in
dem er ein Fremdling war, vier Brunnen grub. Den ersten nannte er
„Verleumdung“, den zweiten nannte er „Feindseligkeit“, deswegen, weil er
Verleumdungen und Feindseligkeiten erlitt, als sich die Hirten von Gerar 5
um das Wasser jener Brunnen mit ihm stritten. Er grub einen dritten
Brunnen, dem er den Namen „Weiter Raum“ gab, weil es um diesen keinen
Streit gab. Den vierten nannte er „Überfluss“, weil er auch um ihn keinen
Streit führen musste. In Christus, Teuerster, zwingst Du mich dazu, mich an
die Verleumdungen und an die Feindseligkeiten zu erinnern, die ich einst 10
erlitten habe, als die Hirten von Gerar sich deswegen mit mir stritten, weil
ich es wagte, die von den Philistern mit Erde zugeschütteten Brunnen
wieder auszugraben, im Streben, zu dem lebendigen Wasser zu gelangen,
unter Zurückweisung des trüben Wassers, das heißt des entstellten
Lebenswandels der Kleriker, der von der Reinheit der apostolischen Ader, 15
aus welcher der geistliche Stand seinen Anfang nahm, allzu sehr
abgewichen ist.
Als ich also begonnen hatte, durch das Schreiben gleichsam wie durch
Graben diese Wasserader zu suchen, da entfachten die Hirten von Gerar, die 20
Freunde der Philister, das heißt der Abtrünnigen, gegen mich, gegen meine
Wenigkeit großen Streit. Sie empörten sich, als ich den ersten Brunnen
grub, das heißt, als ich jenes Buch, das Du jetzt von mir forderst, meinem
Herrn seligen Angedenkens Kuno1, Bischof der Regensburger Kirche, zum
Lesen vorlegte, damit, wenn es ihm gut schmecke, er in dieser Kirche selbst 25
vom lebendigen Wasser trinke und es anderen zum Trinken gebe. Ich
erinnere mich voller Freude daran, dass dies auch tatsächlich geschah; denn
0 Konrad I. von Raitenbuch, auch Kuno von Regensburg (* um 1070, /■ 19. Mai 1132); Konrad
war Abt des von Fruttuaria reformierten Klosters Siegburg (1105-1126) und Bischof von
Regensburg von 1126 bis 1132. Er öffnete die Regensburger Diözese allmählich für die Reform
im Sinne Hirsaus und Fruttuarias. Vgl. CLASSEN, Gerhoch, S. 34; SEMMLER, Klosterreform, S.
46-48.