Vom Ursprung und Ziel der Geschichte
3
| Vorwort
Die Geschichte der Menschen ist der Erinnerung weitgehend entschwunden. Erst
durch forschendes Nachsuchen wird sie - zu geringem Teil - zugänglich.
Die Tiefe der langen, alles begründenden Vorgeschichte wird durch matte Lichter
doch nicht eigentlich aufgehellt. Aus der geschichtlichen Zeit - der Zeit schriftlicher
Bezeugung - ist die Überlieferung zufällig und lückenhaft, wirklich reich an Dokumen-
ten erst seit dem 16. Jahrhundert nach Christi. Die Zukunft ist unentschieden ein gren-
zenloser Raum von Möglichkeiten.
Zwischen der hundertfach längeren Vorgeschichte und der Unermeßlichkeit der
Zukunft liegen die fünftausend Jahre der uns sichtbaren Geschichte, eine winzige Teil-
strecke innerhalb des unabsehbar währenden menschlichen Daseins. Diese Geschichte
ist offen in die Vorwelt und in die Zukunft. Sie ist nach keiner Seite abschließbar und
nicht in einer runden Gestalt als ein sich selbst tragendes Gesamtbild zu gewinnen.
Mitten in der Geschichte stehen wir und unsere Gegenwart. Diese wird nichtig,
wenn sie in den engen Horizont des Tages zur bloßen Gegenwart sich verliert. Mein
Buch möchte mithelfen, unser Bewußtsein der Gegenwart zu steigern.
Die Gegenwart erfüllt sich durch den geschichtlichen Grund, den wir zur Wirk-
samkeit in uns bringen, - der erste Teil des Buches handelt von der bisherigen Welt-
geschichte.
Die Gegenwart wird andererseits erfüllt von der in ihr verborgenen Zukunft, deren
Tendenzen wir in Abwehr oder Einstimmung zu den unseren machen, - der zweite Teil
versucht von Gegenwart und Zukunft zu sprechen.
Erfüllte Gegenwart aber läßt den Anker im ewigen Ursprung werfen. Mit der Ge-
schichte über alle Geschichte hinaus zu gelangen in das Umgreifende, das ist das
Letzte, was im Denken zwar nicht erreichbar, aber doch zu berühren ist, - der dritte
Teil soll den Sinn der Geschichte erörtern.
Karl Jaspers
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| Vorwort
Die Geschichte der Menschen ist der Erinnerung weitgehend entschwunden. Erst
durch forschendes Nachsuchen wird sie - zu geringem Teil - zugänglich.
Die Tiefe der langen, alles begründenden Vorgeschichte wird durch matte Lichter
doch nicht eigentlich aufgehellt. Aus der geschichtlichen Zeit - der Zeit schriftlicher
Bezeugung - ist die Überlieferung zufällig und lückenhaft, wirklich reich an Dokumen-
ten erst seit dem 16. Jahrhundert nach Christi. Die Zukunft ist unentschieden ein gren-
zenloser Raum von Möglichkeiten.
Zwischen der hundertfach längeren Vorgeschichte und der Unermeßlichkeit der
Zukunft liegen die fünftausend Jahre der uns sichtbaren Geschichte, eine winzige Teil-
strecke innerhalb des unabsehbar währenden menschlichen Daseins. Diese Geschichte
ist offen in die Vorwelt und in die Zukunft. Sie ist nach keiner Seite abschließbar und
nicht in einer runden Gestalt als ein sich selbst tragendes Gesamtbild zu gewinnen.
Mitten in der Geschichte stehen wir und unsere Gegenwart. Diese wird nichtig,
wenn sie in den engen Horizont des Tages zur bloßen Gegenwart sich verliert. Mein
Buch möchte mithelfen, unser Bewußtsein der Gegenwart zu steigern.
Die Gegenwart erfüllt sich durch den geschichtlichen Grund, den wir zur Wirk-
samkeit in uns bringen, - der erste Teil des Buches handelt von der bisherigen Welt-
geschichte.
Die Gegenwart wird andererseits erfüllt von der in ihr verborgenen Zukunft, deren
Tendenzen wir in Abwehr oder Einstimmung zu den unseren machen, - der zweite Teil
versucht von Gegenwart und Zukunft zu sprechen.
Erfüllte Gegenwart aber läßt den Anker im ewigen Ursprung werfen. Mit der Ge-
schichte über alle Geschichte hinaus zu gelangen in das Umgreifende, das ist das
Letzte, was im Denken zwar nicht erreichbar, aber doch zu berühren ist, - der dritte
Teil soll den Sinn der Geschichte erörtern.
Karl Jaspers