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Jaspers, Karl; Salamun, Kurt [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 10): Vom Ursprung und Ziel der Geschichte — Basel: Schwabe Verlag, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.51322#0100
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Vom Ursprung und Ziel der Geschichte

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| 6. Das Spezifische des Abendlandes s7

Wenn das historische Bewußtsein Europas in früheren Jahrhunderten alles Vorgrie-
chische und Vor jüdische als von sich fremd zu einer bloßen Einleitung der Geschichte
herabsetzte und alles, was auf dem Erdball außerhalb seiner eigenen Geisteswelt noch
lebte, in den einen großen Bereich der Völkerkunde setzte und deren Schöpfungen in
Museen für Völkerkunde sammelte, so liegt in dieser längst korrigierten Blindheit doch
eine Wahrheit.
Schon in der Achsenzeit - in der die größten Ähnlichkeiten von China bis zum
Abendlande vorliegen, von denen her dann in der Folge eine divergierende Entwick-
lung geschah, - sind die Unterschiede da. Trotzdem wird man angesichts unserer mo-
dernen Welt, im Vergleich zu ihr, eine Ähnlichkeit der großen Kulturbereiche noch
bis etwa 1500 nach Chr. wahrnehmen.
In den letzten Jahrhunderten aber ist ein einziges in seinem letzten Sinn schlecht-
hin Neues aufgetreten: die Wissenschaft mit ihren Folgen in der Technik. Sie hat die Welt
innerlich und äußerlich revolutioniert wie niemals ein Ereignis seit Beginn der erinner-
ten Geschichte. Sie hat unerhörte Chancen und Gefahren gebracht. Das technische Zeit-
alter, in dem wir seit knapp anderthalb Jahrhunderten stehen, ist erst in den letzten Jahr-
zehnten zur völligen Herrschaft gekommen, die nun in einem nicht voraussehbaren
Maße intensiviert wird. Der ungeheuren Folgen werden wir uns erst zum Teil bewußt.
Neue Grundlagen des gesamten Daseins sind als nunmehr unumgänglich geschaffen.
Bei den germanisch-romanischen Völkern lag der Ursprung von Wissenschaft und
Technik. Diese Völker vollzogen damit einen historischen Bruch. Sie begannen die
wirklich universale, die planetarische Geschichte der Menschheit. Nur die Völker, wel-
che sich die abendländische Wissenschaft und Technik aneignen und damit die Gefah-
ren auf sich nehmen, die mit diesem abendländischen Wissen und Können für das
Menschsein verbunden sind, vermögen noch aktiv mitzuwirken.
Sind Wissenschaft und Technik vom Abendlande geschaffen, so ist die Frage: wa-
rum ist das im Abendland und nicht in den beiden anderen großen Welten gesche-
hen? War im Abendland | vielleicht schon in der Achsenzeit etwas Eigentümliches, 88
das erst in den letzten Jahrhunderten diese Wirkungen hatte? Ist von vornherein schon
in der Achsenzeit angelegt, was sich in der Wissenschaft schließlich gezeigt hat? Gibt
es etwas für das Abendland Spezifisches? Was die einzige ganz neue und radikal ver-
wandelnde Entwicklung im Abendland ist, wäre in einem umfassenderen Prinzip
begründet. Dies ist nicht zu erfassen. Aber vielleicht sind Hinweise möglich, die das
Eigentümliche des Abendlandes zum Bewußtsein bringen.
 
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