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Jaspers, Karl; Salamun, Kurt [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 10): Vom Ursprung und Ziel der Geschichte — Basel: Schwabe Verlag, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.51322#0046
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Vom Ursprung und Ziel der Geschichte

13

| Einleitung

Die Frage nach der Struktur der Weltgeschichte

Durch den Umfang und die Tiefe der Verwandlung alles menschlichen Lebens hat un-
ser Zeitalter die einschneidendste Bedeutung. Nur die gesamte Menschheitsgeschichte
vermag die Maßstäbe für den Sinn des gegenwärtigen Geschehens zu geben.
Der Blick auf die Menschheitsgeschichte aber führt uns in das Geheimnis unse-
res Menschseins. Daß wir überhaupt Geschichte haben, durch Geschichte sind, was
wir sind, - daß diese Geschichte nur eine vergleichsweise sehr kurze Zeit bisher ge-
dauert hat, läßt uns fragen: Woher kommt das? Wohin führt das? Was bedeutet das?
Ein Bild des Ganzen machte sich der Mensch seit alters: zunächst in mythischen
Bildern (in Theogonien und Kosmogonien, in denen der Mensch seinen Ort hat),
dann in dem Bilde von einem Handeln Gottes durch die politischen Weltentschei-
dungen (Geschichtsvision der Propheten), dann als Offenbarungsgeschehen im
Ganzen von Weltschöpfung und Sündenfall bis zum Weitende und Weltgericht
(Augustin).1
Grundsätzlich anders wird das historische Bewußtsein, wenn es sich auf empiri-
sche Grundlagen und nur auf diese stützt. Die noch legendären Geschichten einer na-
türlichen Kulturentstehung, wie sie überall von China bis zum Abendlande entwor-
fen wurden, hatten schon diese Absicht. Heute ist der reale Horizont außerordentlich
erweitert. Die zeitliche Beschränkung - etwa das Alter der Welt von 6000 Jahren im
biblischen Glauben - wurde durchbrochen. Ein Endloses öffnet sich in Vergangenheit
und Zukunft hinein. Darin bindet sich die Forschung an historische Reste, an Doku-
mente und Monumente der Vergangenheit.
Dieses empirische Geschichtsbild muß sich entweder bescheiden vor der unüber-
sehbaren Mannigfaltigkeit im Aufweisen von einzelnen Regelmäßigkeiten und im un-
abschließbaren Beschreiben des Vielen: Es wiederholt sich dasselbe; es gibt im Ver-
schiedenen das Analoge; es gibt die machtpolitischen Ordnungen in ihrer typischen
Folge von Gestaltungen und es gibt das chaotische Durcheinander; es gibt regelmä-
ßige Stilfolgen im | Geistigen und es gibt die Nivellierung in das unregelmäßig Dau- 16
ernde.
Oder man sucht ein einheitliches, zusammenfassendes Totalbild der Menschheits-
geschichte zu gewinnen: man erblickt die tatsächlichen Kulturkreise und ihren Ab-
lauf; man sieht sie getrennt und dann in Wechselwirkung; man erfaßt ihre Gemein-
 
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