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Jaspers, Karl; Salamun, Kurt [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 10): Vom Ursprung und Ziel der Geschichte — Basel: Schwabe Verlag, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.51322#0116
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Vom Ursprung und Ziel der Geschichte

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| 1. Das schlechthin Neue:
Wissenschaft und Technik
Einleitung
Eine geschichtsphilosophische Totalanschauung, wie wir sie versuchen, soll die eigene
Situation erleuchten im Ganzen der Geschichte. Geschichtliche Anschauung dient
zur Erhellung des Bewußtseins des gegenwärtigen Zeitalters. Sie zeigt den Ort, an dem
wir stehen.
Erst die Maßstäbe der Weltgeschichte machen sichtbar, welch tiefer Einschnitt in
unserer Zeit, vorbereitet seit zwei Jahrhunderten, erfolgt ist, ein Einschnitt, der allem,
was wir aus den abgelaufenen fünftausend Jahren kennen, unvergleichbar ist an Fol-
genreichtum.
Das eigentlich Neue, grundsätzlich ganz andere, ohne Vergleich mit Asiatischem,
völlig Eigenständige, sogar den Griechen Fremde, ist allein die moderne europäische
Wissenschaft und Technik. Das Gesamtbild der bisherigen Geschichte zeigt im Rück-
blick eine Kontinuität, ja Einheitlichkeit, die zuletzt in Hegels Geschichtsbild eine
großartige Gestalt hatte. Das wird anders mit der modernen Technik. Daher ist die
Ähnlichkeit Asiens und Europas bis rund 1500 n. Chr. noch beträchtlich, erst in den
letzten Jahrhunderten ist der Unterschied so groß geworden.
Es ist nicht leicht, das grundsätzlich Neue der modernen Wissenschaft und Tech-
nik klar zu sehen. Da diese Klarheit für die Auffassung unserer Gegenwart entschei-
dend ist - für ihre geistigen und für ihre materiellen Chancen und Gefahren -, müssen
wir versuchen, das Neue durch Vergleich mit dem Früheren prägnant herauszustellen.
Das erfordert einige Umständlichkeit.
| I. Die moderne Wissenschaft
Im Blick auf die Weltgeschichte sehen wir drei Schritte des Erkennens: erstens die Ra-
tionalisierungüberhaupt, welche in irgendwelchen Formen allgemein menschlich ist,
mit dem Menschsein als solchem auftritt, als »vorwissenschaftliche Wissenschaft«
Mythen und Magie rationalisiert, - zweitens die Wissenschaft, die logisch und metho-
disch bewußt wird, die griechische Wissenschaft, zu der es Parallelen in Ansätzen gibt
in China und Indien, - drittens die moderne Wissenschaft, die erwachsen ist seit dem
Ende des Mittelalters, entschieden seit dem 17. Jahrhundert, in voller Entfaltung seit
dem 19. Jahrhundert. Diese Wissenschaft unterscheidet Europa jedenfalls seit dem

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