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Jaspers, Karl; Salamun, Kurt [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 10): Vom Ursprung und Ziel der Geschichte — Basel: Schwabe Verlag, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.51322#0155
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Vom Ursprung und Ziel der Geschichte

162 | 2. Die gegenwärtige Situation der Welt

Einleitung
Die Vergangenheit ist für unsere Erinnerung lückenhaft, die Zukunft dunkel. Die Ge-
genwart allein könnte hell erscheinen. Denn wir sind doch ganz dabei. Aber gerade sie
ist als solche uns undurchsichtig, denn sie würde nur klar aus dem vollen Wissen um
die Vergangenheit, von der sie getragen ist, und um die Zukunft, die sie in sich birgt.
Wir möchten zum Bewußtsein der Situation unserer Zeit kommen. Aber diese Situa-
tion hat verborgene Möglichkeiten, die erst dann sichtbar werden, wenn sie sich ver-
wirklichen.
Unsere geschichtlich neue, erstmals entscheidende Situation ist die reale Einheit
der Menschheit auf der Erde. Der Planet ist für den Menschen zu einem verkehrstech-
nisch beherrschten Ganzen geworden, ist »kleiner«, als einst das römische Imperium
war.
Zu diesem Augenblick führte die Entwicklung seit dem Zeitalter der Entdeckungen
vor vierhundert Jahren. Aber noch bis zum Ende des 19. Jahrhunderts blieb für uns die
Geschichte wesentlich Europäische Geschichte. Die übrige Welt war für das damalige
europäische Bewußtsein Kolonialland, von zweitrangiger Bedeutung, bestimmt zur
Beute für Europa. Nur unabsichtlich wurden schon damals die Grundlagen zur heute
sich entfaltenden Weltgeschichte gelegt durch die Mächte, die die großen Erdräume
für sich zu gewinnen suchten. Im ersten Weltkrieg erfolgte wohl schon der Einsatz aus
diesen Räumen. Aber er war doch noch Europäischer Krieg. Amerika zog sich wieder
zurück. Erst der zweite Weltkrieg hat dem Einsatz aller, dem Globus im Ganzen, sein
volles Gewicht gegeben. Der Krieg in Ostasien war so ernst wie der in Europa. Es war
in der Tat der erste wirkliche Weltkrieg. Die Weltgeschichte als eine einzige Geschichte
des Ganzen hat begonnen. Von hier aus erscheint die Zwischenzeit der bisherigen Ge-
schichte als ein zerstreutes Gebiet von voneinander unabhängigen Versuchen, als viel-
facher Ursprung von Möglichkeiten des Menschen. Jetzt ist das Ganze zur Frage und
Aufgabe geworden. Damit tritt eine völlige Verwandlung der Geschichte ein.
163 | Entscheidend ist: Es gibt kein Draußen mehr. Die Welt schließt sich. Die Erdein-
heit ist da. Neue Gefahren und Chancen zeigen sich. Alle wesentlichen Probleme sind
Weltprobleme geworden, die Situation eine Situation der Menschheit.
 
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