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Jaspers, Karl; Salamun, Kurt [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 10): Vom Ursprung und Ziel der Geschichte — Basel: Schwabe Verlag, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.51322#0154
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Vom Ursprung und Ziel der Geschichte

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Alle Momente der Technik verbinden sich mit Zusammenhängen aus anderen Ur-
sprüngen, um den modernen Menschen das Bewußtsein zu geben: in der Helligkeit
heutigen Verstandes einem unheimlichen Prozeß ohnmächtig preisgegeben zu sein,
der sich aus dem Tun der Menschen selber unerbittlich und bezwingend ergeben hat.
Der moderne Mensch durchschaut und durchschaut nicht und möchte nun erst
recht alles technisch und rational in die Hand nehmen, um das Unheil in seinem Lauf
aufzuhalten.
Im Ganzen ist das Ereignis der Technik, weil undurchschaut, nicht nur Verhäng-
nis, sondern Aufgabe. Die Entwürfe der Phantasie sind zugleich wie Aufforderungen
an das Menschsein, ihrer Herr zu werden. Sollen alle Möglichkeiten des Menschen als
Einzelnen aufhören, die Meditation von der Erde verschwinden? Gibt es nicht einen
Ursprung des Menschen, der schließlich alles Technische unter seine Bedingung stellt,
statt daß der Mensch Sklave der Technik wird?
| Durch die Wirklichkeit der Technik ist der ungeheure Bruch in der Menschheits- 161
geschichte entstanden, dessen schließliche Folgen keine Phantasie vorwegnehmen
kann, obgleich wir mitten darin stehen, daß die Mechanisierung und Technisierung
des menschlichen Lebens sich konstituiert.
Das jedenfalls ist offenbar: Technik ist nur Mittel, an sich weder gut noch böse. Es
kommt darauf an, was der Mensch daraus macht, zu was sie ihm dient, unter welche
Bedingungen er sie stellt. Es ist die Frage, was für ein Mensch es ist, der sich ihrer be-
mächtigt, als welches Wesen der Mensch durch sie am Ende sich zeigt. Die Technik ist
unabhängig von dem, was mit ihr zu machen ist, als selbständiges Wesen eine leere
Macht, ein schließlich lähmender Triumph des Mittels über den Zweck. Ist es möglich,
daß die Technik, losgelöst vom menschlichen Sinn, zur Raserei in den Händen von
Unmenschen würde, - oder daß die Erde samt den Menschen nur Material einer ein-
zigen Riesenfabrik würde, das Ganze ein Ameisenhaufen, der alles in sich hineinver-
wandelt hat und nur noch als Kreislauf von Hervorbringen und Verzehren der Leer-
lauf eines gehaltlosen Geschehens bleibt? Der Verstand kann es als möglich
konstruieren, das Bewußtsein unseres Menschseins wird immer sagen: es ist im Gan-
zen unmöglich.
Nicht der Gedanke allein wird der Technik Herr. Es wird die weltgeschichtliche Ent-
scheidung jetzt und in den kommenden Jahrhunderten darüber getroffen, in welcher
Gestalt unter den radikal neuen Bedingungen seines Lebens der Mensch seine Mög-
lichkeiten hat. Alle bisherigen geschichtlichen Versuche seiner Verwirklichung gera-
ten vor die Frage, was sie jetzt noch bedeuten, wie sie sich wiederholen können, wie
sie sich bewähren.
Das Philosophieren muß dieser Wirklichkeit ins Auge blicken. Sie bringt zwar nur
Gedanken, innere Haltung, Wertschätzungen, Möglichkeiten für den Einzelnen her-
vor, aber diese Einzelnen können unberechenbar ein wesentlicher Faktor im Gang der
Dinge werden.
 
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