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Vom Ursprung und Ziel der Geschichte
artig sein, wie babylonische, ägyptische, Induskultur und chinesische Urkultur, aber al-
26 les dies wirkt wie unerwacht. Die alten Kulturen bestehen nur fort in den Eie | menten,
die in die Achsenzeit eingehen, aufgenommen werden von dem neuen Anfang. Es liegt
- gemessen an dem hellen Menschsein der Achsenzeit - ein merkwürdiger Schleier über
den vorhergehenden ältesten Kulturen, als ob der Mensch in ihnen noch nicht eigent-
lich zu sich gekommen sei. Darüber können einzelne ergreifende, aber im Ganzen und
in der Folge wirkungslose Ansätze nicht täuschen (im Gespräch eines Lebensmüden mit
seiner Seele in Ägypten, in babylonischen Bußpsalmen, im Gilgamesch). Das Monumen-
tale in der Religion und deren Kunst und die entsprechenden umfassenden autoritären
Staatsbildungen und Rechtsschöpfungen sind für das Bewußtsein der Achsenzeit Ge-
genstände der Ehrfurcht und Bewunderung, ja des Vorbildes (so für Konfuzius, für Plato)
aber derart, daß ihr Sinn in der neuen Auffassung verwandelt wird.
So ist der Reichsgedanke, der am Ende der Achsenzeit zu neuer Kraft kommt und diese
Zeit politisch beendigt, aus den alten Hochkulturen überkommen. Während er aber ur-
sprünglich das Kultur-schöpferische Prinzip war, wird er jetzt das Prinzip der Einsargung
und Stabilisierung einer untergehenden Kultur. Es ist, als ob das einmal die Menschheit
emportreibende Prinzip, das faktisch despotisch war, nun bewußt despotisch wieder
durchbräche, um nun aber wie der Frost erstarren zu machen und zu konservieren.
2. Von dem, was damals geschah, was damals geschaffen und gedacht wurde, lebt
die Menschheit bis heute. In jedem ihrer neuen Aufschwünge kehrt sie erinnernd zu
jener Achsenzeit zurück, läßt sich von dorther neu entzünden. Seitdem gilt: Erinne-
rung und Wiedererwecken der Möglichkeiten der Achsenzeit - Renaissancen - brin-
gen geistigen Aufschwung. Rückkehr zu diesem Anfang ist das immer wiederkehrende
Ereignis in China und Indien und dem Abendland.
3. Die Achsenzeit beginnt zwar zunächst räumlich begrenzt, aber sie wird geschicht-
lich allumfassend. Was an den Entfaltungen der Achsenzeit nicht Teil gewinnt, bleibt
»Naturvolk« in der Art des ungeschichtlichen Lebens der Jahrzehntausende oder Hun-
derttausende. Menschen außerhalb der drei Welten der Achsenzeit sind entweder ab-
2/ seits geblieben, oder sie kamen | mit einem dieser drei geistigen Strahlenzentren in Be-
rührung. Dann wurden sie in die Geschichte aufgenommen. So kamen z. B. im Westen
die germanischen und slavischen Völker, im Osten die Japaner, Malaien, Siamesen
hinzu. Für viele Naturvölker wurde die Berührung Grund ihres Aussterbens. Alle nach
der Achsenzeit lebenden Menschen blieben entweder im Stande der Naturvölker oder
gewannen Teil an dem neuen, nun allein grundlegenden Geschehen. Die Naturvölker
bedeuten, während schon Geschichte ist, die bleibende Vorgeschichte, die immer ge-
ringer an Raum wird, bis sie, erst jetzt, endgültig zu Ende ist.
4. Zwischen den drei Welten ist, sobald sie einander begegnen, ein gegenseitiges Ver-
ständnis bis in die Tiefe möglich. Sie erkennen, wenn sie sich treffen, gegenseitig, daß es
sich beim andern auch um das eigene handelt. Bei aller Ferne geschieht ein gegensei-
tiges Betroffensein. Zwar gibt es nicht das objektivierbare eine gemeinsame Wahre (das
Vom Ursprung und Ziel der Geschichte
artig sein, wie babylonische, ägyptische, Induskultur und chinesische Urkultur, aber al-
26 les dies wirkt wie unerwacht. Die alten Kulturen bestehen nur fort in den Eie | menten,
die in die Achsenzeit eingehen, aufgenommen werden von dem neuen Anfang. Es liegt
- gemessen an dem hellen Menschsein der Achsenzeit - ein merkwürdiger Schleier über
den vorhergehenden ältesten Kulturen, als ob der Mensch in ihnen noch nicht eigent-
lich zu sich gekommen sei. Darüber können einzelne ergreifende, aber im Ganzen und
in der Folge wirkungslose Ansätze nicht täuschen (im Gespräch eines Lebensmüden mit
seiner Seele in Ägypten, in babylonischen Bußpsalmen, im Gilgamesch). Das Monumen-
tale in der Religion und deren Kunst und die entsprechenden umfassenden autoritären
Staatsbildungen und Rechtsschöpfungen sind für das Bewußtsein der Achsenzeit Ge-
genstände der Ehrfurcht und Bewunderung, ja des Vorbildes (so für Konfuzius, für Plato)
aber derart, daß ihr Sinn in der neuen Auffassung verwandelt wird.
So ist der Reichsgedanke, der am Ende der Achsenzeit zu neuer Kraft kommt und diese
Zeit politisch beendigt, aus den alten Hochkulturen überkommen. Während er aber ur-
sprünglich das Kultur-schöpferische Prinzip war, wird er jetzt das Prinzip der Einsargung
und Stabilisierung einer untergehenden Kultur. Es ist, als ob das einmal die Menschheit
emportreibende Prinzip, das faktisch despotisch war, nun bewußt despotisch wieder
durchbräche, um nun aber wie der Frost erstarren zu machen und zu konservieren.
2. Von dem, was damals geschah, was damals geschaffen und gedacht wurde, lebt
die Menschheit bis heute. In jedem ihrer neuen Aufschwünge kehrt sie erinnernd zu
jener Achsenzeit zurück, läßt sich von dorther neu entzünden. Seitdem gilt: Erinne-
rung und Wiedererwecken der Möglichkeiten der Achsenzeit - Renaissancen - brin-
gen geistigen Aufschwung. Rückkehr zu diesem Anfang ist das immer wiederkehrende
Ereignis in China und Indien und dem Abendland.
3. Die Achsenzeit beginnt zwar zunächst räumlich begrenzt, aber sie wird geschicht-
lich allumfassend. Was an den Entfaltungen der Achsenzeit nicht Teil gewinnt, bleibt
»Naturvolk« in der Art des ungeschichtlichen Lebens der Jahrzehntausende oder Hun-
derttausende. Menschen außerhalb der drei Welten der Achsenzeit sind entweder ab-
2/ seits geblieben, oder sie kamen | mit einem dieser drei geistigen Strahlenzentren in Be-
rührung. Dann wurden sie in die Geschichte aufgenommen. So kamen z. B. im Westen
die germanischen und slavischen Völker, im Osten die Japaner, Malaien, Siamesen
hinzu. Für viele Naturvölker wurde die Berührung Grund ihres Aussterbens. Alle nach
der Achsenzeit lebenden Menschen blieben entweder im Stande der Naturvölker oder
gewannen Teil an dem neuen, nun allein grundlegenden Geschehen. Die Naturvölker
bedeuten, während schon Geschichte ist, die bleibende Vorgeschichte, die immer ge-
ringer an Raum wird, bis sie, erst jetzt, endgültig zu Ende ist.
4. Zwischen den drei Welten ist, sobald sie einander begegnen, ein gegenseitiges Ver-
ständnis bis in die Tiefe möglich. Sie erkennen, wenn sie sich treffen, gegenseitig, daß es
sich beim andern auch um das eigene handelt. Bei aller Ferne geschieht ein gegensei-
tiges Betroffensein. Zwar gibt es nicht das objektivierbare eine gemeinsame Wahre (das