Metadaten

Jaspers, Karl; Salamun, Kurt [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 10): Vom Ursprung und Ziel der Geschichte — Basel: Schwabe Verlag, 2017

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51322#0057
License: Free access  - all rights reserved
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
24

Vom Ursprung und Ziel der Geschichte

all vorkomme, als Ansatz oder als Möglichkeit. In der Verwirklichung des gemeinsamen
29 Menschlichen seien überall | die Unterschiede das Wesentliche, das Eigentümliche und
das Geschichtliche, das Ganze sei nirgends als ein Eines zu fassen außer in den unge-
schichtlichen allgemeinen Eigenschaften des menschlichen Daseins.
Dagegen ist zu sagen: In der Achsenzeit handelt es sich gerade um das Gemeinsame
in einem Geschichtlichen, um den Durchbruch zu den bis heute gütigen Grundsät-
zen des Menschseins in den Grenzsituationen.14 Wesentlich ist hier das Gemeinsame,
das gerade nicht überall auf der Erde dem Menschsein als solchem, sondern geschicht-
lich nur diesen drei Ursprüngen auf schmalem Raum entstammt. Die Frage ist, ob bei
wachsender Kenntnis die Tiefe dieses Gemeinsamen trotz aller bleibenden Unter-
schiede nur immer eindringlicher sich zeigt. Dann wird die zeitliche Koinzidenz ein
Tatbestand, über den wir um so mehr uns verwundern, je klarer wir ihn uns vergegen-
wärtigen. Das kann überzeugend nur in breiter Darstellung geschehen.
2. Ein weiterer Einwand ist: die Achsenzeit sei überhaupt kein Tatbestand, sondern
Ergebnis eines Werturteils. Aus einem Vorurteil werden Werke jener Zeit so übermäßig
hochgeschätzt.
Dagegen ist zu sagen: Wo es sich um den Geist handelt, ist der Tatbestand nur im
Verstehen von Sinn vor Augen. Verstehen aber ist seinem Wesen nach immer zugleich
Werten. Ein geschichtliches Bild beruht zwar empirisch auf einer Fülle einzelner, ge-
häufter Daten, aber entsteht nicht daraus allein. Erst im Verstehen gewinnen wir die
Anschauung wie von allem geschichtlichen Geist so auch von der Achsenzeit. Und
diese Anschauung ist Verstehen und Werten in eins, ist darin das Ergriffensein, weil
wir als wir selbst betroffen sind, weil es uns angeht, als unsere Geschichte, und zwar
nicht als nur Vergangenes, von dem wir erkennen, wie es gewirkt hat, sondern als das
Vergangene, dessen weitere, ursprüngliche, immer erst wieder neue beginnende Wir-
kung unabsehbar ist.
Darum ist das Organ geschichtlicher Forschung der ganze Mensch. »Ein jeder sieht,
was er im Herzen trägt.« Der Ursprung des Verstehens ist unsere Gegenwärtigkeit, das
hier und jetzt, unsere einzige Wirklichkeit. Darum: je höher unser eigener Aufschwung
gelingt, desto heller sehen wir die Achsenzeit.
30 | Wenn die Rangordnung der geschichtlichen Gehalte nur mit der Subjektivität der
menschlichen Existenz zu erfassen ist, so bringt diese Subjektivität sich zum Erlöschen
nicht in der Objektivität eines rein Gegenständlichen, sondern in der Objektivität des
Erblickens seitens der Gemeinschaft, die der Mensch, wenn er sich nicht schon in ihr
findet, sucht; denn wahr ist, was uns verbindet.15
Daß sich uns in dem gemeinsamen Verstehen und dem davon unlösbaren Werten
die Achsenzeit in ihrer Bedeutung ergeben und einst der Menschheit überhaupt als
solche gelten wird, das ist nun meine These, die sich der Natur der Sache nach einem
endgiltigen Beweise entzieht, aber durch Erweiterung und Vertiefung der Anschauung
bestätigt werden kann.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften