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Jaspers, Karl; Salamun, Kurt [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 10): Vom Ursprung und Ziel der Geschichte — Basel: Schwabe Verlag, 2017

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51322#0058
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Vom Ursprung und Ziel der Geschichte

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3. Ein weiterer Einwand ist: Diese Parallele habe keinen geschichtlichen Charakter.
Denn was sich im geistigen Verkehr gar nicht berührt, das gehört keiner gemeinsamen
Geschichte an. Schon gegen Hegel, der China, Indien und Abendland als dialektische
Stufenfolge der Entwicklung des Geistes zusammenbrachte,16 wurde dieser Einwand
gemacht, daß von einer Stufe zur anderen hier keine reale Berührung führe, wie sie in
den sich folgenden Stufen innerhalb der Geschichte des Abendlandes stattfinde.
Bei unserer These aber handelt es sich um etwas grundsätzlich anderes. Wir leug-
nen gerade die Stufenfolge China bis Griechenland - sie besteht weder zeitlich noch
sinnhaft -, vielmehr geschieht hier ein Nebeneinander in der gleichen Zeit ohne Be-
rührung. Mehrere von einander im Ursprung getrennte Straßen scheinen zunächst
zum gleichen Ziel zu führen. Es ist eine Mannigfaltigkeit des Gleichen in drei Gestal-
ten. Es sind drei selbständige Wurzeln einer später - nach unterbrochenen Einzelbe-
rührungen endg[ü]ltig erst seit einigen Jahrhunderten, eigentlich erst seit heute - zu
einer einzigen Einheit werdenden Geschichte.
Die Frage ist darum die nach der Art des Parallelismus.

| 2. Welcher Art ist der behauptete Parallelismus? 31
Der Tatbestand könnte eine Summe von synchronistischen Kuriositäten ohne ge-
schichtliche Bedeutung sein. Man kann auf zahlreiche wunderliche Synchronismen
in der Weltgeschichte hinweisen. Zum Beispiel:
Im 16. Jahrhundert fanden die Jesuiten in Japan eine buddhistische Sekte (die seit
dem 13. Jahrhundert bestand). Sie schien den Protestanten erstaunlich ähnlich und war
es in der Tat. Nach der Darstellung des Japanologen Florenz17 (im Lehrbuch von Chan-
tepie de la Saussaye18) war ihre Lehre etwa folgende: Eine Mittätigkeit des Menschen bei
Gewinnung des Heils ist unwirksam. Es kommt auf den Glauben an, auf den Glauben
an Amida’s Barmherzigkeit und Hilfe. Verdienstliche gute Werke gibt es nicht. Das Ge-
bet ist keine Leistung, sondern nur Dank für die Erlösung, die von Amida gewährt wird.
»Wenn schon die Guten zum Leben eingehen sollen, wieviel mehr noch wird es so mit
den Sündern sein!«19 sagt Shinran, der Gründer der Sekte. Gegen den überkommenen
Buddhismus stand die Forderung: Keine Werke, keine magischen Formeln und Zauber-
handlungen, keine Amulette, keine Wallfahrten, Bußen, Fasten noch sonstige Arten
von Askese. Der Laie hat dieselben Heilsaussichten wie der Priester und der Mönch. Die
Priester sind nur noch eine Körperschaft zur Belehrung der Laien. Sie brauchen sich in
der Lebensführung von den Laien nicht mehr zu unterscheiden, tragen dasselbe Kleid
wie sie. Das Zölibat wird aufgehoben. Die Familie gilt als bester Wirkungskreis für das
religiöse Leben. Die Mitglieder der Sekte sollen »Ordnung bewahren, den staatlichen
Gesetzen gehorsam sein und als gute Staatsbürger für das Wohl des Landes sorgen«.
Dies Beispiel, das bis zur Identität mit Grundlehren des Luthertums geht, ist er-
staunlich. Es gibt noch zahlreiche andere Parallelen von China bis nach Europa durch
die Jahrhunderte hindurch. Man hat synchronistische Tabellen für sie aufgestellt.
 
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