Metadaten

Jaspers, Karl; Salamun, Kurt [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 10): Vom Ursprung und Ziel der Geschichte — Basel: Schwabe Verlag, 2017

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51322#0077
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
44

Vom Ursprung und Ziel der Geschichte

Diese Befunde verwehren die Aufstellung einer Entwicklungsreihe. Nur die Erd-
schichten, in denen die Funde gemacht werden, erlauben die Aufstellung einer Zeit-
folge, die zum Teil koinzidiert mit dem aus der Art der Funde erschlossenen Nachein-
ander. Im rohen Schema:
Diluvium heißt die letzte Phase der Erdgeschichte mit ihrer Reihe von Eiszeiten
und Zwischeneiszeiten. Alluvium heißen die Jahre nach der letzten Eiszeit, ihre Dauer
hat noch nicht die Dauer einer Zwischeneiszeit erreicht, beträgt vielleicht 15 000 Jahre.
Das Diluvium muß eine Million Jahre umspannen.
56 | Der Mensch ist durch Funde als existent im Diluvium in den letzten Eiszeiten und
Zwischeneiszeiten nachgewiesen. Erst während der letzten Eiszeit - also etwa vor
20000 Jahren - trat der Mensch der Cromagnon-Rasse auf, der anthropologisch von
uns nicht verschieden ist. Gegen Ende der letzten Eiszeit stammen von ihm die
erstaunlichen Malereien in Höhlen Spaniens und Frankreichs. Nach der Art der primi-
tiven Bearbeitung der Steinwerkzeuge spricht man vom Paläolithikum.
Das neolithische Zeitalter (Zeit der geschliffenen Steine) wird seit acht- oder fünf-
tausend Jahren vor Christus datiert. Diesem neolithischen Zeitalter gehören auch
noch die ältesten Phasen der Kulturen in Ägypten und im Zweistromlande, am Indus
und in China an.
Keineswegs aber handelt es sich im Ganzen um eine gradlinige Entwicklung als
Fortschritt, sondern um mannigfache Kulturkreise nebeneinander und nacheinander,
wobei gewisse Linien technischen Fortschrittes wie die Steinbearbeitung - vermöge
Übertragung langsam sich verbreitend - hindurchgehen.
Zeitlich sind zwei Gruppen der Vorgeschichte zu unterscheiden:
Die absolute Vorgeschichte vor Beginn der alten großen Kulturen seit 4000 vor Chr.
Und die relative Vorgeschichte, die gleichzeitig mit dem Gang dieser dokumentarisch
überlieferten Kulturen, zum Teil in ihrer Nähe und unter ihrem Einfluß, zum Teil weit
ab und fast ohne Berührung stattfand, - und die zum Teil die Vorgeschichte der spä-
ten Kulturvölker, wie der germanisch-romanischen und slavischen Welt ist, zum Teil
bis zu den bis in die Gegenwart reichenden Naturvölkern - eine bleibende Vorge-
schichte - geführt hat.

d. Was geschah in der Vorgeschichte?
Die ungeheuren Zeiträume, in denen es schon Menschen gab, sind uns im Grunde ein
Geheimnis. Sie sind eine Zeit geschichtlichen Schweigens, in der doch Wesentliches ge-
schehen sein muß. Die erste Menschwerdung vollends ist das tiefste Geheimnis, bisher völ-
lig unzugänglich, auf keine Weise für uns begreiflich. Es wird durch Redensarten - des
57 »Allmählichen«, des »Übergangs« - nur verschleiert. Wir können Phantasien von der
Entstehung des Menschen entwerfen. Diese Phantasie selber schon scheitert: immer ist
der Mensch in der Vorstellung schon da, wenn man ihn vermeintlich werden läßt.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften