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Jaspers, Karl; Salamun, Kurt [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 10): Vom Ursprung und Ziel der Geschichte — Basel: Schwabe Verlag, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.51322#0083
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Vom Ursprung und Ziel der Geschichte

chen Eifersucht durch Männersolidarität. Während bei Tieren entweder nur vorüber-
64 gehende, durch jede Brunstzeit gesprengte Herdenbildungen | oder durch Asexualität
der Meisten ermöglichte Dauerbildungen wie bei den Ameisen vorkommen, konnte
allein der Mensch, ohne seine Geschlechtlichkeit aufzugeben, eine Organisation der
Männerkameradschaft hervorbringen, die seitdem voller Spannungen das geschicht-
liche Leben ermöglicht.
5) Das Leben durch Mythen. Die Prägung des Lebens durch Bilder, der Vollzug des
Daseins, der Familie, der Gesellschaft, der Arbeit, des Kampfes unter Führung dieser
Bilder, die von unendlicher Deutbarkeit und Steigerbarkeit doch zugleich einfach das
Seins- und Selbstbewußtsein tragen, Geborgenheit und Gewißheit geben, ist in seiner
Herkunft undurchschaubar. Am Beginn der Geschichte und weiterhin lebt der Mensch
in dieser Welt. Bachofens Visionen mögen in ihrem Beleg historisch fraglich sein, mö-
gen als dokumentarische Überlieferung hinfällig werden, sie treffen etwas Entschei-
dendes, sowohl im Grundzug, wie wahrscheinlich auch in vielen Gehalten.
e. Gesamtaspekt der Vorgeschichte
Es geschah in unbestimmbaren Zeiten und Zeiträumen die Ausbreitung des Menschen
über den Erdball, das zerstreute Geschehen in jeweils begrenzten Bereichen, endlos
zersplittert, darin aber etwas umfassend Einheitliches: die großen, langsamen Prozesse
der unmerklichen Rassezüchtungen, der Sprachbildungen und Mythenbildungen, der
stillen Ausbreitungen der technischen Erfindungen, der Wanderungen. Immer han-
delt es sich um bewußtseinslose, zwar schon menschliche, aber der Natur noch ver-
haftete Geschehnisse.
Es finden menschliche Vereinigungen statt im Blick auf andere menschliche Ver-
einigungen. Man weiß von einander, blickt auf einander. Die Zerstreutheit findet sich
zusammen im Kampf und zu neuen umfassenderen Einheitsbildungen. Das ist der
Übergang zur Geschichte, die endgiltig beginnt mit der Schrift.
Die Vorgeschichte ist eine ungeheure Realität - denn in ihr ist der Mensch zur Er-
scheinung gekommen - doch eine Realität, die wir im Grunde nicht kennen. Aber
wenn wir fragen, was wir Menschen eigentlich sind und Antwort suchen durch die
65 Erkenntnis, woher wir kommen, so können wir uns nicht tief genug in das Geheim-
nis der Vorgeschichte versenken. Dieses Dunkel hat eine Anziehungskraft, die uns mit
Recht lockt, - und bereitet uns ständig Enttäuschungen durch Nichtwissen.
f. Die Frage nach der Zusammengehörigkeit aller Menschen
Auf die Frage: gehören wir Menschen als Menschen zusammen und wie gehören wir
zusammen? könnte die Vorgeschichte durch die Entscheidung zwischen monophyleti-
schem und polyphyletischem Ursprung des Menschen einen Beitrag leisten.
 
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