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Jaspers, Karl; Salamun, Kurt [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 10): Vom Ursprung und Ziel der Geschichte — Basel: Schwabe Verlag, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.51322#0086
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Vom Ursprung und Ziel der Geschichte

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täler, das Nilland und das Zweistromland. In diesen beiden Gebieten ist die Geschichte
des Menschen in Dokumenten und Monumenten kontinuierlich so weit zurück zu ver-
folgen, wie nirgends sonst auf der Erde. Hier sehen wir, was dort um 3000 v. Chr. war, und
schließen aus Resten noch weiter zurück. In China können wir kaum über das zweite
Jahrtausend zurückblicken, und haben klare und um [fassende Überlieferung erst aus 69
dem ersten Jahrtausend. Die Ausgrabungen in Indien zeigen die zivilisatorisch hoch-
entwickelten Städte aus dem dritten Jahrtausend - aber sie stehen noch isoliert und zei-
gen vorläufig kaum einen Zusammenhang mit dem späteren Indien, das gegen Ende
des zweiten Jahrtausends beginnt. In Amerika ist alles viel später, durchweg nach der
christlichen Zeitwende. Europa läßt in Ausgrabungen ein vorgeschichtliches Dasein er-
stehen, bis in das dritte Jahrtausend zurück von selbständiger Kultur, aber ohne das Ge-
wicht einer eigenen auf uns noch wesentlich wirkenden Physiognomie. Nur weil hier
unsere eigene Vorgeschichte liegt, sind wir betroffen und interessiert.
Die ägyptische und babylonische Kultur in ihrem Spätzustand sind den Griechen
und den Juden - die in deren Umkreis lebten - noch bekannt geworden und seitdem
eine abendländische Erinnerung, aber erst heute durch Ausgrabungen und Sprachver-
ständnis wirklich anschaulich in ihrem Gang durch Jahrtausende. Die Induskultur ist
uns ausschließlich durch Ausgrabungen - und zwar erst seit einigen Jahrzehnten - be-
kannt, sie war den Indern in der Erinnerung völlig entschwunden (die Schriftzeichen
sind noch nicht entziffert). Die chinesische Überlieferung idealisiert den eigenen
Grund, wie er im zweiten Jahrtausend und vorher gelegt ist. Durch Ausgrabungen ist
er nur in wenigen Resten sichtbar.
b. Welche Ereignisse haben die Geschichte eingeleitet?
Wir fragen: Welches sind die greifbaren Ereignisse, mit denen die Geschichte begann?
Vielleicht sind folgende wesentlich:
1) Die Aufgabe der Organisation von Strom- und Bewässerungsregulierungen am Nil,
Euphrat-Tigris, Hoang-ho erzwingt Zentralisation, Beamtenschaft, Staatsbildung.
2) Die Erfindung der Schrift - eine Bedingung jener Organisation - geschah (nach
Hrozny)33 etwa um 3300 bei den Sumerern, um 3000 in Ägypten, um 2000 in China
(die alphabetische Schrift wurde erst im letzten Jahrtausend vor Chr. von den Phöni-
kern | erfunden). Es ist die Frage, ob die Erfindung auf eine einzige Quelle (die Sume- 70
rer) zurückgeht, oder ob es sich um unabhängige Erfindung an mehreren Stellen han-
delt. Die Unentbehrlichkeit der Schrift für die Verwaltung hatte zur Folge die führende
Bedeutung von Schreiberschichten, einer geistigen Aristokratie.
3) Die Entstehung von Völkern, die sich als Einheit fühlen mit gemeinsamer Spra-
che und gemeinsamer Kultur und gemeinsamem Mythus.
4) Später die Weltreiche, zuerst von Mesopotamien aus. Der Ursprung war die Auf-
gabe, die ständigen Angriffe der Nomaden auf das Kulturland dadurch zu verhindern,
 
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