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Jaspers, Karl; Salamun, Kurt [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 10): Vom Ursprung und Ziel der Geschichte — Basel: Schwabe Verlag, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.51322#0091
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Vom Ursprung und Ziel der Geschichte

1) Die Achsenvölker. - Es sind die Völker, welche in Kontinuität mit ihrer eigenen
Vergangenheit den Sprung vollzogen, in ihm gleichsam zum zweitenmal geboren wur-
den und durch ihn das geistige Wesen des Menschen und seine eigentliche Geschichte
begründeten: Chinesen, Inder, Iranier, Juden, Griechen.
2) Die Völker ohne Durchbruch. - Der Durchbruch war ein universalgeschichtlich
entscheidendes, aber kein universales Ereignis. Es gibt die großen Völker der alten
Hochkulturen, die vorher und die noch gleichzeitig mit dem Durchbruch lebten,
aber nicht daran teilhatten und trotz ihrer Gleichzeitigkeit von ihm innerlich unbe-
troffen blieben.
Während der Achsenzeit blühte noch die ägyptische und babylonische Kultur, wenn
77 auch in fühlbar später Gestaltung. | Beiden fehlte die menschenverwandelnde Reflexion;
sie erfuhren keine Metamorphosen durch die Achsenvölker; sie reagierten nicht mehr
auf den außerhalb ihres Bereiches geschehenen Durchbruch. Sie blieben zunächst noch,
was sie früher, als vorhergehende, waren, zu großartiger Gestaltung gelangt in Ordnung
des staatlichen und gesellschaftlichen Lebens, in der Baukunst, in Plastik und Malerei,
in der Formung ihrer magischen Religion. Aber sie hatten nun ein langsames Ende. Äu-
ßerlich unterworfen von den neuen Mächten, verloren sie auch innerlich ihre alte Kul-
tur, auslaufend in persische, später sassanidische Kultur und den Islam (in Mesopota-
mien) oder in die Römerwelt und das Christentum (später den Islam in Ägypten).
Beide sind von universalhistorischer Bedeutung, weil in ihrem Anblick, von ihnen
lernend, sich gegen sie absetzend, sich an ihnen steigernd, die Juden und die Griechen
erwuchsen, die die Grundlage des Abendlandes schufen. Dann wurden jene alten Kul-
turen fast vergessen, bis sie in unseren Jahren neu entdeckt wurden.
Wir stehen ergriffen vor ihrer Großartigkeit, bleiben aber ihnen auf eine Weise
fremd, die durch den Abgrund bedingt ist, welchen die Durchbruchslosigkeit bewirkt.
Wir sind Chinesen und Indern unendlich näher als Ägyptern und Babyloniern. Die
Erhabenheit des Ägyptischen und Babylonischen ist einzigartig. Doch erst mit dem
neuen Zeitalter des Durchbruchs beginnt das uns Vertraute. Wir sehen in verschwin-
denden Ansätzen eine uns verwundernde Vorwegnahme, als ob der Durchbruch be-
ginnen sollte, der dann doch nicht kommt, besonders in Ägypten.
Dies nun ist eine für die Auffassung der Menschheitsgeschichte entscheidende Grund-
frage: Sind China und Indien neben Ägypten und Babylonien zu stellen und eigentlich
nur dadurch unterschieden, daß sie bis heute fortdauern, - oder haben China und Indien
durch ihre Mitschöpfung der Achsenzeit selbst den großen Schritt getan, der sie über jene
alten Hochkulturen grundsätzlich hinausbringt? Ich wiederhole das schon Gesagte: Man
kann Ägypten, Babylonien wohl neben das frühe China und neben die Induskultur des
dritten Jahrtausends, nicht aber neben China und Indien im Ganzen stellen. China und
78 Indien stehen neben dem Abendland nicht nur, weil sie bis heute fortlebten, sondern |
weil sie den Durchbruch vollzogen. Dies mag noch kurz kritisch erörtert werden:
 
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