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Vom Ursprung und Ziel der Geschichte
86 | Das Abendland gründete sich auf Christentum und Antike, auf beide zunächst in
der Gestalt, in der sie die Spätantike den germanischen Völkern überlieferte, um dann
schrittweise zurückzudringen in die Ursprünge sowohl der biblischen Religion wie des
griechischen Wesens.
Der Humanismus war seit der Scipionenzeit eine Form des Bildungsbewußtseins,
das in Abwandlungen seitdem durch die abendländische Geschichte bis heute geht.
Das Abendland schuf sich die universalen Kristallisationen, aus denen die Konti-
nuität der Bildung lebte: das Imperium Romanum und die katholische Kirche. Beide
wurden die Grundlage des europäischen Bewußtseins, das zwar ständig zu zerfallen
droht, aber in den großen Unternehmungen gegen das drohende Fremde jeweils neu,
wenn auch nicht zuverlässig konstituiert wurde (wie in der Zeit der Kreuzzüge, der
Mongolengefahr, der Türkengefahr).
Aber die Tendenz zu universalen Einheitsformen der Bildung und Überlieferung
führte nicht zur stillstellenden Einsargung des geistigen Lebens, wie es weitgehend im
Konfuzianismus Chinas geschah, sondern es blieben die ständigen Durchbrüche, in
denen die Völker Europas abwechselnd ihre schöpferischen Epochen hatten, aus de-
nen ganz Europa dann lebte.
Die Zeit seit der italienischen Renaissance begriff sich als Wiedererneuerung der
Antike, seit der deutschen Reformation als Wiederherstellung des Christentums. Bei-
des ist in der Folge tatsächlich zur eindringendsten Wiedererkennung der Achse der
Weltgeschichte geworden. Aber beides war auch und vor allem ursprüngliches Schaf-
fen des neuen Abendlandes, das schon vor jener Wiedererkennung mit wachsender
Kraft eingesetzt hatte. Jene Periode der Weltgeschichte von 1500-1830, die im Abend-
land durch den Reichtum außerordentlicher Persönlichkeiten, durch die unvergäng-
lichen Werke der Dichtung und Kunst, durch die tiefsten Antriebe der Religion,
schließlich durch Schöpfung in Wissenschaft und Technik ausgezeichnet ist, ist die
unmittelbare Voraussetzung unseres eigenen geistigen Lebens.
Vom Ursprung und Ziel der Geschichte
86 | Das Abendland gründete sich auf Christentum und Antike, auf beide zunächst in
der Gestalt, in der sie die Spätantike den germanischen Völkern überlieferte, um dann
schrittweise zurückzudringen in die Ursprünge sowohl der biblischen Religion wie des
griechischen Wesens.
Der Humanismus war seit der Scipionenzeit eine Form des Bildungsbewußtseins,
das in Abwandlungen seitdem durch die abendländische Geschichte bis heute geht.
Das Abendland schuf sich die universalen Kristallisationen, aus denen die Konti-
nuität der Bildung lebte: das Imperium Romanum und die katholische Kirche. Beide
wurden die Grundlage des europäischen Bewußtseins, das zwar ständig zu zerfallen
droht, aber in den großen Unternehmungen gegen das drohende Fremde jeweils neu,
wenn auch nicht zuverlässig konstituiert wurde (wie in der Zeit der Kreuzzüge, der
Mongolengefahr, der Türkengefahr).
Aber die Tendenz zu universalen Einheitsformen der Bildung und Überlieferung
führte nicht zur stillstellenden Einsargung des geistigen Lebens, wie es weitgehend im
Konfuzianismus Chinas geschah, sondern es blieben die ständigen Durchbrüche, in
denen die Völker Europas abwechselnd ihre schöpferischen Epochen hatten, aus de-
nen ganz Europa dann lebte.
Die Zeit seit der italienischen Renaissance begriff sich als Wiedererneuerung der
Antike, seit der deutschen Reformation als Wiederherstellung des Christentums. Bei-
des ist in der Folge tatsächlich zur eindringendsten Wiedererkennung der Achse der
Weltgeschichte geworden. Aber beides war auch und vor allem ursprüngliches Schaf-
fen des neuen Abendlandes, das schon vor jener Wiedererkennung mit wachsender
Kraft eingesetzt hatte. Jene Periode der Weltgeschichte von 1500-1830, die im Abend-
land durch den Reichtum außerordentlicher Persönlichkeiten, durch die unvergäng-
lichen Werke der Dichtung und Kunst, durch die tiefsten Antriebe der Religion,
schließlich durch Schöpfung in Wissenschaft und Technik ausgezeichnet ist, ist die
unmittelbare Voraussetzung unseres eigenen geistigen Lebens.