Vom Ursprung und Ziel der Geschichte
91
Insbesondere gilt das Forschen durch Experiment als aggressiv. Im Unterschied
vom einfachen Anschauen wird in dem Wechsel von theoretischem Entwurf und Ve-
rifikation durch Experiment eine Einsicht erzielt, die nicht nur verläßlich ist, sondern
immer tiefer eindringt in die Gesetzlichkeit bewußtlosen Geschehens. Nicht Aggres-
sion, sondern Frage an die Natur ist das Motiv.
Nun aber kann das, was die moderne Wissenschaft tut, mißverstanden und miß-
braucht werden. Daher haben Macht- und Zerstörungswillen, selber ungeschichtlich und
stets auf dem Sprunge, sich auch der Wissenschaft bemächtigt zu Aggressivität im Reden,
im Tun, in der Anwendung, aber immer so, daß die Wissenschaft dabei verloren geht.
Das Schaurigste waren Experimente am Menschen. Daß am Menschen keine Ex-
perimente gemacht werden dürfen ohne dessen Einsicht und Zustimmung, - weswe-
gen gefährliche Experimente nur vom Forscher an sich selbst gemacht werden sollen -,
das folgt zwar nicht aus dem Sinn der Wissenschaft, sondern aus den Grundsätzen der
Humanität und der Menschenrechte.
Ein indischer Fürst vor Zwei jahrtausenden machte Experimente an Verbrechern,
etwa folgendes: »Ihr sollt den Mann noch lebendig in eine Kufe setzen, diese mit dem
Deckel verschließen, mit feuchten Fellen überziehen, eine dicke Lehmschicht auftra-
gen und dann in den Backofen einlegen und Feuer anmachen. - So geschah es. Als wir
nun wußten: der Mann ist tot, wurde die Kufe hervorgeholt, aufgeschlagen, der Dek-
kel entfernt, und wir sahen behutsam hinein, ob wir wohl den entweichenden Lebens-
geist wahrzunehmen vermöchten: aber wir haben keinen entweichenden Lebensgeist
bemerkt.« Das ist eine Analogie zu den Menschenexperimenten der Nationalsoziali-
sten. Diese haben mit | der modernen Wissenschaft als solcher nichts zu tun, sondern 121
gehören zu dem Mißbrauch, der, wie mit allem von Menschen Hervorgebrachten,
auch mit der Wissenschaft getrieben werden kann.
Anders als mit dem ungeschichtlichen Machtwillen liegt es mit geschichtlich be-
stimmten Motiven. Vielleicht ist die Entstehung der modernen Wissenschaft nicht
denkbar ohne die Seelenverfassung und die Antriebe, die in der biblischen Religion ih-
ren geschichtlichen Grund haben. Drei die Forschung zum äußersten vorantreiben-
den Motive scheinen aus ihr zu kommen:
1) Das Ethos der biblischen Religion fordert Wahrhaftigkeit um jeden Preis. Die
Wahrhaftigkeit wurde durch sie auf den Gipfel und zugleich in ihre ganze Problema-
tik getrieben. Der von Gott geforderte Wahrheitsanspruch läßt das Erkennen nicht als
ein Spiel treiben, nicht als edle Beschäftigung der Muße, sondern als einen Ernst, der
im Erkennen einen Beruf sieht, in dem es um alles geht.
2) Die Welt ist Schöpfung Gottes. Der Grieche erkennt den Kosmos als das Vollkom-
mene und Geordnete, als das Vernünftige und Gesetzmäßige, als das ewig Bestehende.
Das Andere ist ihm nichts, ist Materie, nicht wißbar und nicht wissenswert. Wenn aber
die Welt Gottes Schöpfung ist, dann ist alles, was ist, als Schöpfung Gottes auch wis-
senswert, gibt es nichts, was nicht gekannt und gewußt werden müßte. Erkennen ist
91
Insbesondere gilt das Forschen durch Experiment als aggressiv. Im Unterschied
vom einfachen Anschauen wird in dem Wechsel von theoretischem Entwurf und Ve-
rifikation durch Experiment eine Einsicht erzielt, die nicht nur verläßlich ist, sondern
immer tiefer eindringt in die Gesetzlichkeit bewußtlosen Geschehens. Nicht Aggres-
sion, sondern Frage an die Natur ist das Motiv.
Nun aber kann das, was die moderne Wissenschaft tut, mißverstanden und miß-
braucht werden. Daher haben Macht- und Zerstörungswillen, selber ungeschichtlich und
stets auf dem Sprunge, sich auch der Wissenschaft bemächtigt zu Aggressivität im Reden,
im Tun, in der Anwendung, aber immer so, daß die Wissenschaft dabei verloren geht.
Das Schaurigste waren Experimente am Menschen. Daß am Menschen keine Ex-
perimente gemacht werden dürfen ohne dessen Einsicht und Zustimmung, - weswe-
gen gefährliche Experimente nur vom Forscher an sich selbst gemacht werden sollen -,
das folgt zwar nicht aus dem Sinn der Wissenschaft, sondern aus den Grundsätzen der
Humanität und der Menschenrechte.
Ein indischer Fürst vor Zwei jahrtausenden machte Experimente an Verbrechern,
etwa folgendes: »Ihr sollt den Mann noch lebendig in eine Kufe setzen, diese mit dem
Deckel verschließen, mit feuchten Fellen überziehen, eine dicke Lehmschicht auftra-
gen und dann in den Backofen einlegen und Feuer anmachen. - So geschah es. Als wir
nun wußten: der Mann ist tot, wurde die Kufe hervorgeholt, aufgeschlagen, der Dek-
kel entfernt, und wir sahen behutsam hinein, ob wir wohl den entweichenden Lebens-
geist wahrzunehmen vermöchten: aber wir haben keinen entweichenden Lebensgeist
bemerkt.« Das ist eine Analogie zu den Menschenexperimenten der Nationalsoziali-
sten. Diese haben mit | der modernen Wissenschaft als solcher nichts zu tun, sondern 121
gehören zu dem Mißbrauch, der, wie mit allem von Menschen Hervorgebrachten,
auch mit der Wissenschaft getrieben werden kann.
Anders als mit dem ungeschichtlichen Machtwillen liegt es mit geschichtlich be-
stimmten Motiven. Vielleicht ist die Entstehung der modernen Wissenschaft nicht
denkbar ohne die Seelenverfassung und die Antriebe, die in der biblischen Religion ih-
ren geschichtlichen Grund haben. Drei die Forschung zum äußersten vorantreiben-
den Motive scheinen aus ihr zu kommen:
1) Das Ethos der biblischen Religion fordert Wahrhaftigkeit um jeden Preis. Die
Wahrhaftigkeit wurde durch sie auf den Gipfel und zugleich in ihre ganze Problema-
tik getrieben. Der von Gott geforderte Wahrheitsanspruch läßt das Erkennen nicht als
ein Spiel treiben, nicht als edle Beschäftigung der Muße, sondern als einen Ernst, der
im Erkennen einen Beruf sieht, in dem es um alles geht.
2) Die Welt ist Schöpfung Gottes. Der Grieche erkennt den Kosmos als das Vollkom-
mene und Geordnete, als das Vernünftige und Gesetzmäßige, als das ewig Bestehende.
Das Andere ist ihm nichts, ist Materie, nicht wißbar und nicht wissenswert. Wenn aber
die Welt Gottes Schöpfung ist, dann ist alles, was ist, als Schöpfung Gottes auch wis-
senswert, gibt es nichts, was nicht gekannt und gewußt werden müßte. Erkennen ist