Vom Ursprung und Ziel der Geschichte
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3) Die Wirklichkeit der Welt ist voller Grauen und Entsetzen für den Menschen. »So
ist es« muß sein Wahrheitswille feststellen. Wenn aber Gott der Weltschöpfer ist, wird
er gleichsam | haftbar gemacht für seine Schöpfung. Die Frage nach der Rechtfertigung 123
Gottes wird in Hiob zu einem Ringen um die Gottheit im Wissen um die Weltwirklich-
keit. Es ist ein Ringen gegen Gott für Gott. Gottes Dasein ist unbezweifelt. Gerade daß
er unbezweifelt ist, steigert dieses Ringen. Es würde aufhören, wenn der Glaube erlo-
schen ist.
Dieser Gott mit seinem unbedingten Wahrheitsanspruch will nicht durch Illusio-
nen ergriffen werden. Er verwirft die Theologen, die Hiob47 durch gedankliche Sophis-
men trösten und ermahnen wollen. Dieser Gott verlangt das Wissen, dessen Inhalt
immer wieder gegen ihn selbst Anklage zu erheben scheint. Daher das Wagnis des Er-
kennens, die Forderung bedingungslosen Erkennens, - und zugleich die Scheu davor.
Es ist eine Polarität, als ob zugleich gehört werde: Gottes Wille ist uneingeschränkte
Forschung: Forschung ist Gottesdienst - sie ist ein Antasten Gottes: es soll nicht alles
enthüllt werden.
Dieses Ringen geht ineins mit dem Ringen des forschenden Menschen gegen das
Eigene, gegen das Liebste und Wünschbarste, gegen die Ideale und Grundsätze: sie alle
müssen geprüft und neu bewährt oder verwandelt werden. Wie Gott nicht wahrhaft
geglaubt wird, wenn er nicht die Fragen erträgt, die aus den Tatbeständen der Wirk-
lichkeit erwachsen und wie das Gottsuchen ein Schwermachen im Sichversagen der
Illusionen ist, so ist der echte Forschungswille das Ringen mit den eigenen Wünschen
und Erwartungen.
Dieses Ringen findet seine letzte Bewährung im Ringen des Forschers gegen seine
eigenen Thesen. Es ist das entscheidende Merkmal des wissenschaftlichen Menschen
geworden, daß er im Forschen seine Gegner sucht, am stärksten die, die alles in Frage
stellen durch konkrete und bestimmte Gedanken. Etwas scheinbar Selbstzerstöreri-
sches wird hier produktiv. Und es ist das Merkmal des Verlustes der Wissenschaft, wenn
Diskussion gemieden, gar verworfen wird, wenn man sein Denken in gesinnungsglei-
chen Kreisen beschränkt und zerstörende Aggressivität in unbestimmten Allgemein-
heiten nach außen wendet.
| c. Verkehrungen und Aufgaben moderner Wissenschaft
124
Die Wissenschaft, erst seit drei Jahrhunderten, zunächst langsam und sprungweise,
dann schnell und kontinuierlich in Zusammenarbeit der Forscher aller Weltteile ent-
faltet, ist unumgängliches Schicksal und Chance geworden.
Die Wissenschaft ist heute allgemein verbreitet, anerkannt; jeder glaubt an ihr teil-
zuhaben. Aber reine Wissenschaft und Klarheit wissenschaftlicher Haltung sind zu-
gleich ungemein selten. Es gibt die Masse wissenschaftlicher Ergebnisse, die einfach
hingenommen werden; es gibt die Fülle spezialistischen Könnens ohne Teilnahme an
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3) Die Wirklichkeit der Welt ist voller Grauen und Entsetzen für den Menschen. »So
ist es« muß sein Wahrheitswille feststellen. Wenn aber Gott der Weltschöpfer ist, wird
er gleichsam | haftbar gemacht für seine Schöpfung. Die Frage nach der Rechtfertigung 123
Gottes wird in Hiob zu einem Ringen um die Gottheit im Wissen um die Weltwirklich-
keit. Es ist ein Ringen gegen Gott für Gott. Gottes Dasein ist unbezweifelt. Gerade daß
er unbezweifelt ist, steigert dieses Ringen. Es würde aufhören, wenn der Glaube erlo-
schen ist.
Dieser Gott mit seinem unbedingten Wahrheitsanspruch will nicht durch Illusio-
nen ergriffen werden. Er verwirft die Theologen, die Hiob47 durch gedankliche Sophis-
men trösten und ermahnen wollen. Dieser Gott verlangt das Wissen, dessen Inhalt
immer wieder gegen ihn selbst Anklage zu erheben scheint. Daher das Wagnis des Er-
kennens, die Forderung bedingungslosen Erkennens, - und zugleich die Scheu davor.
Es ist eine Polarität, als ob zugleich gehört werde: Gottes Wille ist uneingeschränkte
Forschung: Forschung ist Gottesdienst - sie ist ein Antasten Gottes: es soll nicht alles
enthüllt werden.
Dieses Ringen geht ineins mit dem Ringen des forschenden Menschen gegen das
Eigene, gegen das Liebste und Wünschbarste, gegen die Ideale und Grundsätze: sie alle
müssen geprüft und neu bewährt oder verwandelt werden. Wie Gott nicht wahrhaft
geglaubt wird, wenn er nicht die Fragen erträgt, die aus den Tatbeständen der Wirk-
lichkeit erwachsen und wie das Gottsuchen ein Schwermachen im Sichversagen der
Illusionen ist, so ist der echte Forschungswille das Ringen mit den eigenen Wünschen
und Erwartungen.
Dieses Ringen findet seine letzte Bewährung im Ringen des Forschers gegen seine
eigenen Thesen. Es ist das entscheidende Merkmal des wissenschaftlichen Menschen
geworden, daß er im Forschen seine Gegner sucht, am stärksten die, die alles in Frage
stellen durch konkrete und bestimmte Gedanken. Etwas scheinbar Selbstzerstöreri-
sches wird hier produktiv. Und es ist das Merkmal des Verlustes der Wissenschaft, wenn
Diskussion gemieden, gar verworfen wird, wenn man sein Denken in gesinnungsglei-
chen Kreisen beschränkt und zerstörende Aggressivität in unbestimmten Allgemein-
heiten nach außen wendet.
| c. Verkehrungen und Aufgaben moderner Wissenschaft
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Die Wissenschaft, erst seit drei Jahrhunderten, zunächst langsam und sprungweise,
dann schnell und kontinuierlich in Zusammenarbeit der Forscher aller Weltteile ent-
faltet, ist unumgängliches Schicksal und Chance geworden.
Die Wissenschaft ist heute allgemein verbreitet, anerkannt; jeder glaubt an ihr teil-
zuhaben. Aber reine Wissenschaft und Klarheit wissenschaftlicher Haltung sind zu-
gleich ungemein selten. Es gibt die Masse wissenschaftlicher Ergebnisse, die einfach
hingenommen werden; es gibt die Fülle spezialistischen Könnens ohne Teilnahme an