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Vom Ursprung und Ziel der Geschichte
trauen der Welt, das sich fälschlich auf alle deutsche Philosophie ausgebreitet hat, ist
berechtigt. Hier ist Hybris und Irren des Genies zu einer unerhörten Verführung ge-
worden. Wer von diesem Tranke genossen hat, trunken wurde, ist zu einem Förderer
des Ruins geworden, indem durch ein geistiges Feuerwerk hohen Ranges der Glaube
verloren ging, der Nüchternheit voraussetzt.
Aber auch diese Tatbestände - Aufklärung, französische Revolution, deutscher phi-
losophischer Idealismus - sind nicht ausreichend, unsere geistige Situation zu erklä-
ren. Sie selber scheinen oft weniger Ursache als erste Erscheinung der Krise. Es bleibt
eine brennende, nicht zureichend beantwortete Frage, wie die Glaubenslosigkeit ent-
standen sei. In der Frage liegt die Hoffnung, der Glaubenslosigkeit durch die rechte
Antwort Herr zu werden.
176 | Solchem Drange würde jede Hoffnung abgeschnitten, wenn gewisse metaphysi-
sche Deutungen des Ganges der Geschichte und damit der Herkunft unserer Lage
Recht hätten. Ein Zeitalter der vollendeten Verlorenheit sei das Ergebnis eines Sub-
stanzverlustes. Es wird ein unaufhaltsames Totalgeschehen gedacht, das schließlich
Klages67 aussprach mit dem Satze, die Erdessenz habe in den achtziger Jahren des
19. Jahrhunderts den Planeten verlassen.
Solche unbestimmte Vorstellung eines Substanzverlustes scheint jedoch unan-
nehmbar. Sie ist keine Einsicht, sondern ein Gleichnis für die radikal-pessimistische
Anschauung. Solche Vorstellung ist eher eine Verschleierung als eine Erhellung. Aber
die Idee eines unerkannten Totalgeschehens drängt sich uns immer wieder auf. Nur
ist es weder Naturgeschehen nach Analogie biologischer Vorgänge, noch überhaupt
ein gegenständliches, faßbares Geschehen, eben nicht ein Substanzgeschehen, son-
dern das Umgreifende, in dem wir sind, das wir aber nicht erkennen. Es ist das Geheim-
nis der Weltgeschichte, das wir vertiefen, aber nicht auflösen, und bei dessen Erden-
ken wir uns keinem Gedachten als einem vermeintlich Notwendigen im Ganzen
unterwerfen dürfen, wenn wir nicht mit der Offenheit unserer Erkenntnismöglichkei-
ten zugleich die Freiheit unseres Wesens und Wollens, unserer Wahl und unseres Ent-
schlusses preisgeben wollen an ein Untergeordnetes.
Gegenüber jedem vermeintlichen Totalwissen ist dann vorzuziehen die einfache
Vorstellung (ohne daß auch in ihr der Schlüssel gegeben wäre): Es sei das unveränder-
liche Böse im Menschen, das immer wieder in sinnlose Kriege geführt habe, die heute
aber eine quantitative Steigerung sowohl ihrer Ausbreitung über die Erde wie des Ma-
ßes der Zerstörung gebracht haben, aus deren Ergebnissen mit den zivilisatorischen
auch die geistigen Verfallserscheinungen sich herleiten.
Eine zureichende Antwort auf die Frage nach der Herkunft von Krisen und Glau-
benslosigkeit ist nicht möglich, ob sie nun empirisch kausal, geistig verstehend, me-
taphysisch deutend versucht wird.
Vom Ursprung und Ziel der Geschichte
trauen der Welt, das sich fälschlich auf alle deutsche Philosophie ausgebreitet hat, ist
berechtigt. Hier ist Hybris und Irren des Genies zu einer unerhörten Verführung ge-
worden. Wer von diesem Tranke genossen hat, trunken wurde, ist zu einem Förderer
des Ruins geworden, indem durch ein geistiges Feuerwerk hohen Ranges der Glaube
verloren ging, der Nüchternheit voraussetzt.
Aber auch diese Tatbestände - Aufklärung, französische Revolution, deutscher phi-
losophischer Idealismus - sind nicht ausreichend, unsere geistige Situation zu erklä-
ren. Sie selber scheinen oft weniger Ursache als erste Erscheinung der Krise. Es bleibt
eine brennende, nicht zureichend beantwortete Frage, wie die Glaubenslosigkeit ent-
standen sei. In der Frage liegt die Hoffnung, der Glaubenslosigkeit durch die rechte
Antwort Herr zu werden.
176 | Solchem Drange würde jede Hoffnung abgeschnitten, wenn gewisse metaphysi-
sche Deutungen des Ganges der Geschichte und damit der Herkunft unserer Lage
Recht hätten. Ein Zeitalter der vollendeten Verlorenheit sei das Ergebnis eines Sub-
stanzverlustes. Es wird ein unaufhaltsames Totalgeschehen gedacht, das schließlich
Klages67 aussprach mit dem Satze, die Erdessenz habe in den achtziger Jahren des
19. Jahrhunderts den Planeten verlassen.
Solche unbestimmte Vorstellung eines Substanzverlustes scheint jedoch unan-
nehmbar. Sie ist keine Einsicht, sondern ein Gleichnis für die radikal-pessimistische
Anschauung. Solche Vorstellung ist eher eine Verschleierung als eine Erhellung. Aber
die Idee eines unerkannten Totalgeschehens drängt sich uns immer wieder auf. Nur
ist es weder Naturgeschehen nach Analogie biologischer Vorgänge, noch überhaupt
ein gegenständliches, faßbares Geschehen, eben nicht ein Substanzgeschehen, son-
dern das Umgreifende, in dem wir sind, das wir aber nicht erkennen. Es ist das Geheim-
nis der Weltgeschichte, das wir vertiefen, aber nicht auflösen, und bei dessen Erden-
ken wir uns keinem Gedachten als einem vermeintlich Notwendigen im Ganzen
unterwerfen dürfen, wenn wir nicht mit der Offenheit unserer Erkenntnismöglichkei-
ten zugleich die Freiheit unseres Wesens und Wollens, unserer Wahl und unseres Ent-
schlusses preisgeben wollen an ein Untergeordnetes.
Gegenüber jedem vermeintlichen Totalwissen ist dann vorzuziehen die einfache
Vorstellung (ohne daß auch in ihr der Schlüssel gegeben wäre): Es sei das unveränder-
liche Böse im Menschen, das immer wieder in sinnlose Kriege geführt habe, die heute
aber eine quantitative Steigerung sowohl ihrer Ausbreitung über die Erde wie des Ma-
ßes der Zerstörung gebracht haben, aus deren Ergebnissen mit den zivilisatorischen
auch die geistigen Verfallserscheinungen sich herleiten.
Eine zureichende Antwort auf die Frage nach der Herkunft von Krisen und Glau-
benslosigkeit ist nicht möglich, ob sie nun empirisch kausal, geistig verstehend, me-
taphysisch deutend versucht wird.