136
Vom Ursprung und Ziel der Geschichte
schäft und Technik, dem Wachsen des Reichtums, im Jubel dieses Gelingens lebten
viele Menschen, als ob der Fortschritt gesichert sei, alles immer besser werde. Sie leb-
ten ohne Sorge um die Zukunft.
Das wurde anders nach der Französischen Revolution. Ein sich steigernder Zu-
kunftspessimismus geht durch das 19. Jahrhundert:
Schon Goethe blickte 1825 in das bevorstehende Jahrhundert der Maschine: Es ist
das Jahrhundert für die fähigen Köpfe, für leicht fassende, praktische Menschen, die,
mit einer größeren Gewandtheit ausgestattet, ihre Superiorität über die Menge füh-
len, wenn sie gleich nicht zum höchsten begabt sind. - Dann aber ahnte er noch
Schlimmeres: Ich sehe die Zeit kommen, wo Gott keine Freude mehr an der Mensch-
heit hat und er sie abermals zerschlagen muß zu einer verjüngten Schöpfung.
Wir lesen seitdem eine Reihe berühmter Prognosen, aus denen eine Auswahl wie-
dergegeben sei:
Tocqueville69 schrieb 1835 (Die Demokratie in Amerika, deutsch nach Rüder, 1836):
»Es wird eine Zeit kommen, wo man in Nordamerika 150 Millionen unter sich glei-
che Menschen antreffen wird, in welchen der nämliche Gedanke mit gleicher Form
und Farbe umlaufen wird. Alles übrige ist zweifelhaft, aber dies ist gewiß, obgleich es
eine ganz neue Tatsache in der Welt sein mag, welche, mit ihren Folgen, die Einbil-
dungskraft sich nicht klar vor stellen kann.
Es gibt jetzt auf der Erde zwei große Völker, die von verschiedenen Punkten ausge-
hen und zum nämlichen Ziele vorrücken, die Russen und die englischen Amerikaner.
Beide wurden im Dunkeln groß, und indes die Blicke der Menschen auf andere Ge-
genstände gerichtet waren, haben sie sich plötzlich in den ersten Rang der Nationen
182 gestellt, so daß | das Publikum fast zu gleicher Zeit ihre Entstehung und ihre Größe er-
fuhr.
Alle anderen Völker scheinen ungefähr die ihnen von der Natur bestimmten Gren-
zen erreicht zu haben, mit der Verpflichtung, sich darin zu erhalten, aber diese beiden
befinden sich noch in ihrem Wachstum. Alle übrigen befinden sich in einer Art Hem-
mung. Jene allein marschieren leichten Schrittes in einer Laufbahn, deren Grenze das
Auge noch nicht erblickt.
Der Amerikaner kämpft nur mit Hindernissen der Natur. Der Russe dagegen mehr
mit den Menschen. Der erste bekämpft die Wüsten und die Barbarei. Der Andere wird
beschuldigt, die Zivilisation zu bekämpfen. Der Amerikaner erwirbt seine Eroberun-
gen meistens mit dem Pfluge, und der Russe, außer seinen jetzigen Grenzen, mit dem
Schwerte seiner Krieger.
Um seinen Zweck zu erreichen, stützt sich der Amerikaner auf das persönliche In-
teresse, und läßt, ohne sie zu leiten, die Kraft und die Vernunft der Individuen han-
deln. Der Russe dagegen vereinigt gewissermaßen in seinem durch seinen Charakter
verehrten Autokraten die ganze Macht des Staates. Durch die Freiheit wirkt vorzüglich
der Amerikaner, und der Russe durch die Knechtschaft.
Vom Ursprung und Ziel der Geschichte
schäft und Technik, dem Wachsen des Reichtums, im Jubel dieses Gelingens lebten
viele Menschen, als ob der Fortschritt gesichert sei, alles immer besser werde. Sie leb-
ten ohne Sorge um die Zukunft.
Das wurde anders nach der Französischen Revolution. Ein sich steigernder Zu-
kunftspessimismus geht durch das 19. Jahrhundert:
Schon Goethe blickte 1825 in das bevorstehende Jahrhundert der Maschine: Es ist
das Jahrhundert für die fähigen Köpfe, für leicht fassende, praktische Menschen, die,
mit einer größeren Gewandtheit ausgestattet, ihre Superiorität über die Menge füh-
len, wenn sie gleich nicht zum höchsten begabt sind. - Dann aber ahnte er noch
Schlimmeres: Ich sehe die Zeit kommen, wo Gott keine Freude mehr an der Mensch-
heit hat und er sie abermals zerschlagen muß zu einer verjüngten Schöpfung.
Wir lesen seitdem eine Reihe berühmter Prognosen, aus denen eine Auswahl wie-
dergegeben sei:
Tocqueville69 schrieb 1835 (Die Demokratie in Amerika, deutsch nach Rüder, 1836):
»Es wird eine Zeit kommen, wo man in Nordamerika 150 Millionen unter sich glei-
che Menschen antreffen wird, in welchen der nämliche Gedanke mit gleicher Form
und Farbe umlaufen wird. Alles übrige ist zweifelhaft, aber dies ist gewiß, obgleich es
eine ganz neue Tatsache in der Welt sein mag, welche, mit ihren Folgen, die Einbil-
dungskraft sich nicht klar vor stellen kann.
Es gibt jetzt auf der Erde zwei große Völker, die von verschiedenen Punkten ausge-
hen und zum nämlichen Ziele vorrücken, die Russen und die englischen Amerikaner.
Beide wurden im Dunkeln groß, und indes die Blicke der Menschen auf andere Ge-
genstände gerichtet waren, haben sie sich plötzlich in den ersten Rang der Nationen
182 gestellt, so daß | das Publikum fast zu gleicher Zeit ihre Entstehung und ihre Größe er-
fuhr.
Alle anderen Völker scheinen ungefähr die ihnen von der Natur bestimmten Gren-
zen erreicht zu haben, mit der Verpflichtung, sich darin zu erhalten, aber diese beiden
befinden sich noch in ihrem Wachstum. Alle übrigen befinden sich in einer Art Hem-
mung. Jene allein marschieren leichten Schrittes in einer Laufbahn, deren Grenze das
Auge noch nicht erblickt.
Der Amerikaner kämpft nur mit Hindernissen der Natur. Der Russe dagegen mehr
mit den Menschen. Der erste bekämpft die Wüsten und die Barbarei. Der Andere wird
beschuldigt, die Zivilisation zu bekämpfen. Der Amerikaner erwirbt seine Eroberun-
gen meistens mit dem Pfluge, und der Russe, außer seinen jetzigen Grenzen, mit dem
Schwerte seiner Krieger.
Um seinen Zweck zu erreichen, stützt sich der Amerikaner auf das persönliche In-
teresse, und läßt, ohne sie zu leiten, die Kraft und die Vernunft der Individuen han-
deln. Der Russe dagegen vereinigt gewissermaßen in seinem durch seinen Charakter
verehrten Autokraten die ganze Macht des Staates. Durch die Freiheit wirkt vorzüglich
der Amerikaner, und der Russe durch die Knechtschaft.