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Jaspers, Karl; Salamun, Kurt [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 10): Vom Ursprung und Ziel der Geschichte — Basel: Schwabe Verlag, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.51322#0215
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Vom Ursprung und Ziel der Geschichte

Das Leben in der Enge des Zufälligen dagegen wird gedankenlos beraubt des Sin-
nes der Teilnahme an der Geschichte, die unabgeschlossen durch die Zeit geht - nie-
mand weiß wohin.
Gegen diese Alternative werden wir frei durch Bescheidung. Die Wahrheit und die
Reinheit unseres Wollens sind bedingt durch das Wissen um die Grenzen des Wissens
und des Könnens.
b. Welteinheit
Die Technik hat durch Ermöglichung eines bis dahin unerhört schnellen Verkehrs die
Vereinheitlichung des Erdballs gebracht. Die Geschichte der einen Menschheit hat be-
gonnen. Sie ist insgesamt in ein gleiches Schicksal geraten. Die Menschen von überall
her können sich gegenseitig erblicken.
Da der Erdkreis im Ganzen verkehrstechnisch leichter zur Verfügung steht als frü-
her Ostasien für das Reich der Mitte oder die Mittelmeerwelt für Rom, so kann die po-
litische Einheit der Erde nur eine Frage der Zeit sein. Der Weg scheint von den Natio-
nalstaaten über die großen kontinentalen Führungsräume zum Weltimperium oder zur
Weltordnung91 zu gehen. Er wird erzwungen einmal von einem nach allen historischen
Analogien stets vorhandenen Macht- und Herrschaftswillen, der das jeweils erreich-
bare größte Weltimperium zum mehr oder weniger bewußten Ziel hat, und dann von
dem Friedenswillen, der ein Leben ohne Angst in einer Ordnung der Welt sucht.
So ist in der Tat heute schon aus den Lokalgeschichten Kontinentalgeschichte ge-
worden. Die universalen Tendenzen gehen zunächst auf eine Strukturierung großer
kontinentaler Lebensbereiche, die zu einander in Beziehung stehen. Die Sphären des
amerikanischen Kontinents, Ostasiens, des russischen Reichs. Der europäisch-vordera-
siatisch-afrikanischen Gebiete können nicht beziehungslos nebeneinander und nicht
sich gleichgültig bleiben. Sie sehen nicht nur gegenseitig ihr Dasein, sie leben vielmehr
243 im | faktischen materiellen und geistigen Austausch oder in einem die Spannung er-
höhenden Sichabschließen.

Einleitung: Die historische Analogie zum Ende der Achsenzeit
In der Achsenzeit erwuchs das Selbstbewußtsein des Menschen. Es traten die bezwin-
genden geistigen Bilder und Gedanken auf im Übergang zu den unmythischen oder
doch nicht mehr naiv mythischen Zeitaltern. Die unendlichen Möglichkeiten entwik-
kelten sich im freien Geisteskampf einer machtpolitisch zersplitterten Welt. Jede Kraft
erweckte und reizte die andere.
Aber der Mensch erfuhr durch seinen höchsten Aufschwung erst seine ganze Not,
die Einsicht in seine Unvollendung und seine Unvollendbarkeit. Das Ziel war Erlösung.
Es erwuchs das rationale Denken, damit zusammenhängend die Diskussion, in der
einer dem anderen den Ball zuwirft und durch Generationen hindurch ein fortschaf-
 
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