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Jaspers, Karl; Salamun, Kurt [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 10): Vom Ursprung und Ziel der Geschichte — Basel: Schwabe Verlag, 2017

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51322#0217
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184

Vom Ursprung und Ziel der Geschichte

schäft ihr Dasein behaupten unter ständigem Kampf nach außen und innen um die
bessere Ordnung aus jeweils schon gegebenen faktischen Ordnungen heraus in der
245 griechischen Polis, das ist nun verloren. | Etwas ganz anderes ist dann ein Bund der
Ohnmächtigen in einem Gottesreich, im Glauben an Auferstehung und Erlösung
(Christen). Und großartig erwächst andererseits in den Herrschenden (den Römern)
ein umfassendes Bewußtsein verantwortlicher Staatsführung im universalen Mensch-
heitsinteresse, eine hohe Kunst der Verwaltung, der Aufbau einer weltumspannen-
den Autorität.
Die Analogie wirft vielleicht ein Licht auf unsere Zukunft, wenn diese auch ganz an-
ders aussehen wird. Sie ist zugleich Warnung für alle, die die Freiheit der Menschen wollen.
Wie wird die Einheit aussehen? Wenn das vielleicht nicht mehr ferne erste Ende der
gegenwärtigen Entwicklung der Erdstaat ist, so könnte dieser auftreten entweder als
durch Eroberung gewonnenes, einheitlich beherrschtes Imperium (vielleicht in der
Form einer mit der Anerkennung von Scheinsouveränität vieler Staaten in der Tat zen-
tral gelenkten Herrschaft), oder als durch Verständigung und Vertrag entstandene Welt-
regierung von vereinigten Staaten, die einzeln auf ihre Souveränität verzichtet haben
zugunsten der Souveränität der Menschheit, die in einer Rechtsordnung der Herrschaft
ihren Weg sucht.
Motive auf diesem Gang zur Welteinheit sind einmal der wie jederzeit so heute le-
bendige Machtwille, der keine Grenze kennt, bis ihm alles erlegen ist, - dann unter
Mächten, deren keine angesichts der ungeheuren Gefahren eine Entscheidung durch
Gewalt wagt, die große planetarische Not, die zur Verständigung drängt, - und über
beiden die Idee einer solidarischen Menschheit.
Alles Gegenwärtige erscheint wie das vorbereitende Ringen um die Ausgangspunkte
für den Endkampf um die planetarische Ordnung. Die gegenwärtige Weltpolitik sucht
die Begründung für die letzte Auseinandersetzung, sei diese kriegerisch, sei sie fried-
lich. Bis dahin sind alle Zustände und Machtverhältnisse vorläufig. Die Gegenwart er-
scheint daher als Übergang zu dieser planetarischen Endordnung, auch wenn zunächst
das volle Gegenteil eintritt: z. B. die radikale Unterbrechung der Kommunikation auf
der Erde für die Mehrzahl der Menschen durch totalitäre Regimes. Welche Tendenzen
aus diesem Übergang in die Zukunft führen, soll jetzt näher vergegenwärtigt werden.

246 11. Weltimperium oder Weltordnung
Die Frage ist, auf welchem Wege die einheitliche Weltordnung erreicht wird. Es könnte
geschehen auf dem verzweifelten Wege der Gewalt, so wie nach Bismarcks Worten die
Einheit Deutschlands nur »durch Blut und Eisen« zu gewinnen war. Oder es könnte
geschehen durch eine aus dem reif werdenden Verstehen in Gegenseitigkeit durch Ver-
handlung entstehende Ordnung, so wie sich im 18. Jahrhundert die Staaten Nordame-
rikas zur Union zusammenfanden unter Preisgabe eines wesentlichen Teils ihrer
besonderen Souveränität zugunsten der Souveränität des Ganzen.
 
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