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Jaspers, Karl; Salamun, Kurt [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 10): Vom Ursprung und Ziel der Geschichte — Basel: Schwabe Verlag, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.51322#0219
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Vom Ursprung und Ziel der Geschichte

Weltordnung würde mit der Aufhebung der absoluten Souveränität die Aufhebung
des früheren Staatsbegriffs zugunsten der Menschheit bedeuten. Nicht ein Weltstaat
(der wäre das Weltimperium), sondern eine im Verhandeln und Beschließen sich stets
wieder herstellende Ordnung von Staaten, die sich in gesetzlich begrenzten Gebieten
selbst verwalten, wäre das Ergebnis: ein umfassender Föderalismus.
248 | Weltordnung wäre die Fortsetzung und das Allgemeinwerden innerpolitischer Frei-
heit. Beide sind nur möglich durch Beschränkung der politischen Ordnung auf Da-
seinsfragen. Auf der Daseinsebene handelt es sich nicht um die Entwicklung, Formung
und Erfüllung des Menschseins im Ganzen, sondern um das, was allen Menschen von
Natur gemeinsam ist oder sein kann, was über alle Verschiedenheiten der Menschen,
über die Abweichung von Glaube und Weltanschauung hinweg verbindet, um das
Allgemeinmenschliche.
Das Naturrecht hat seit alters dies allgemein Verbindende herausstellen wollen.
Es begründet Menschenrechte, würde in der Weltordnung eine Instanz errichten,
die auch den einzelnen Menschen gegen Gewaltsamkeiten seines Staates schützt
durch die Möglichkeit wirksamer Rechtsprozesse unter der Souveränität der
Menschheit.
Es lassen sich Grundsätze entwickeln, die für den Menschen als Menschen einsich-
tig sind (wie Kants Grundsätze des ewigen Friedens). Die Begriffe Selbstbestimmungs-
recht, Gleichberechtigung, Souveränität des Staates erhalten ihren relativen, verlieren
ihren absoluten Sinn. Totaler Staat und totaler Krieg lassen sich als im Widerspruch
zum Naturrecht stehend aufweisen: weil in ihnen Mittel und Voraussetzungen des
Menschseins zum Endziel werden, oder weil durch die Verabsolutierung der Mittel der
Sinn des Ganzen, das Recht des Menschen zerstört wird.
Das Naturrecht beschränkt sich auf Daseinsordnung. Sein Endzweck ist immer ein
relativer, der der Daseinsordnung, aber aus dem Motiv des absoluten Endzwecks des
eigentlichen und ganzen Menschseins in der Welt.
Das Zeitalter der Welteinheit ist vorwegnehmend nicht zu entwerfen, so brennend
auch unser Interesse daran sein mag. Möglichkeiten und Grenzen dessen, was sein
wird, lassen sich aber vielleicht erörtern:
1) Alles Geschehen ist nun von »innen«. Von einem Außerhalb, wie es für die Uni-
versalreiche der Vergangenheit doch immer noch bestand, können keine fremden
249 Mächte, keine Barbarenvölker mehr einbrechen. Es wird weder Limes noch Chine | sische
Mauer geben (nur im Übergang eines vorläufigen Abschlusses der Großräume gegen-
einander). Die Welteinheit wird einzig, allumfassend, abgeschlossen, daher mit den
früheren Imperien nicht ohne weiteres vergleichbar sein.
 
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