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Vom Ursprung und Ziel der Geschichte
Aber Wissenschaft, Humanismus und Kirchen sind uns unerläßlich, wir geben
diese Mächte nie preis. Sie genügen nicht, sie bergen in sich böse Verkehrungen, aber sie
sind durch ihre Möglichkeiten unerläßliche Bedingungen für das Ganze des Menschen.
Die Situation fordert heute: Wir müssen zurück zu einem tieferen Ursprung, zu dem
Quell, aus dem aller Glaube einst in seinen besonderen geschichtlichen Gestalten ge-
kommen ist, zu diesem Quell, der jederzeit fließen kann, wenn der Mensch für ihn be-
reit ist. Wenn das Vertrauen zu dem in der Welt Erscheinenden und Gegebenen nicht
mehr das Leben trägt, dann muß das Vertrauen zum Ursprung von allem den Grund
legen. Bis heute sind wir kaum weiter, als daß wir die Aufgabe spüren. Noch, so scheint
es, versagen wir alle.
Es ist die Frage: Wie wird unter den Bedingungen des technischen Zeitalters und
der Neuordnung aller menschlichen Gemeinschaft der Gehalt der Überlieferung be-
wahrt werden: der unendliche Wert des einzelnen Menschen, die Menschenwürde
und die Menschenrechte, die Freiheit des Geistes, die metaphysischen Erfahrungen
der Jahrtausende?
Es ist aber die eigentliche, dies alles bedingende und einschließende Frage der
Zukunft, wie und was der Mensch glauben wird.
Vom Glauben läßt sich nicht in gleicher Weise sprechen wie über den Sozialismus
und die Tendenzen und Gegentendenzen der Totalplanung, über die Welteinheit und
die Tendenzen zum Weltimperium oder zur Weltordnung. Beim Glauben handelt es
sich nicht um Willensziele und nicht um rationale, zu Zwecken werdende Inhalte.
2 68 Denn den Glauben kann man nicht wollen, er | liegt nicht in Sätzen, zwischen denen
man wählen müßte, er entzieht sich dem Programm. Aber er ist doch das Umgrei-
fende, von dem Sozialismus, politische Freiheit und Weltordnung auf ihrem Wege
getragen werden müssen, weil sie von ihm her erst ihren Sinn empfangen. Ohne den
Glauben ist keine Führung aus dem Quell des Menschseins, sondern Verfallenheit an
das Gedachte, Gemeinte, Vorgestellte, an Doktrinen und dann in der Folge an Gewalt,
an Chaos und Ruin. Vom Glauben läßt sich zwar nirgends handgreiflich, aber doch
vielleicht erörternd sprechen. Man kann seine Möglichkeiten umkreisen. Wir versu-
chen es.
i. Glaube und Nihilismus
Glaube ist das Umgreifende, das die Führung hat, auch wenn der Verstand auf sich
selbst zu stehen scheint. Glaube heißt nicht ein bestimmter Inhalt, nicht ein Dogma, -
Dogma kann Ausdruck einer geschichtlichen Gestalt des Glaubens sein; es kann aber
auch täuschen. Glauben ist das Erfüllende und Bewegende im Grunde des Menschen,
in dem der Mensch über sich selbst hinaus mit dem Ursprung des Seins verbunden ist.
Das Selbstverständnis des Glaubens vollzieht sich nur in geschichtlichen Gestal-
ten - keine darf sich, ohne intolerant und zugleich unwahr zu werden, für die einzige
und ausschließende Wahrheit für alle Menschen halten, aber zwischen allen Glauben-
Vom Ursprung und Ziel der Geschichte
Aber Wissenschaft, Humanismus und Kirchen sind uns unerläßlich, wir geben
diese Mächte nie preis. Sie genügen nicht, sie bergen in sich böse Verkehrungen, aber sie
sind durch ihre Möglichkeiten unerläßliche Bedingungen für das Ganze des Menschen.
Die Situation fordert heute: Wir müssen zurück zu einem tieferen Ursprung, zu dem
Quell, aus dem aller Glaube einst in seinen besonderen geschichtlichen Gestalten ge-
kommen ist, zu diesem Quell, der jederzeit fließen kann, wenn der Mensch für ihn be-
reit ist. Wenn das Vertrauen zu dem in der Welt Erscheinenden und Gegebenen nicht
mehr das Leben trägt, dann muß das Vertrauen zum Ursprung von allem den Grund
legen. Bis heute sind wir kaum weiter, als daß wir die Aufgabe spüren. Noch, so scheint
es, versagen wir alle.
Es ist die Frage: Wie wird unter den Bedingungen des technischen Zeitalters und
der Neuordnung aller menschlichen Gemeinschaft der Gehalt der Überlieferung be-
wahrt werden: der unendliche Wert des einzelnen Menschen, die Menschenwürde
und die Menschenrechte, die Freiheit des Geistes, die metaphysischen Erfahrungen
der Jahrtausende?
Es ist aber die eigentliche, dies alles bedingende und einschließende Frage der
Zukunft, wie und was der Mensch glauben wird.
Vom Glauben läßt sich nicht in gleicher Weise sprechen wie über den Sozialismus
und die Tendenzen und Gegentendenzen der Totalplanung, über die Welteinheit und
die Tendenzen zum Weltimperium oder zur Weltordnung. Beim Glauben handelt es
sich nicht um Willensziele und nicht um rationale, zu Zwecken werdende Inhalte.
2 68 Denn den Glauben kann man nicht wollen, er | liegt nicht in Sätzen, zwischen denen
man wählen müßte, er entzieht sich dem Programm. Aber er ist doch das Umgrei-
fende, von dem Sozialismus, politische Freiheit und Weltordnung auf ihrem Wege
getragen werden müssen, weil sie von ihm her erst ihren Sinn empfangen. Ohne den
Glauben ist keine Führung aus dem Quell des Menschseins, sondern Verfallenheit an
das Gedachte, Gemeinte, Vorgestellte, an Doktrinen und dann in der Folge an Gewalt,
an Chaos und Ruin. Vom Glauben läßt sich zwar nirgends handgreiflich, aber doch
vielleicht erörternd sprechen. Man kann seine Möglichkeiten umkreisen. Wir versu-
chen es.
i. Glaube und Nihilismus
Glaube ist das Umgreifende, das die Führung hat, auch wenn der Verstand auf sich
selbst zu stehen scheint. Glaube heißt nicht ein bestimmter Inhalt, nicht ein Dogma, -
Dogma kann Ausdruck einer geschichtlichen Gestalt des Glaubens sein; es kann aber
auch täuschen. Glauben ist das Erfüllende und Bewegende im Grunde des Menschen,
in dem der Mensch über sich selbst hinaus mit dem Ursprung des Seins verbunden ist.
Das Selbstverständnis des Glaubens vollzieht sich nur in geschichtlichen Gestal-
ten - keine darf sich, ohne intolerant und zugleich unwahr zu werden, für die einzige
und ausschließende Wahrheit für alle Menschen halten, aber zwischen allen Glauben-