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Jaspers, Karl; Salamun, Kurt [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 10): Vom Ursprung und Ziel der Geschichte — Basel: Schwabe Verlag, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.51322#0238
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Vom Ursprung und Ziel der Geschichte

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Immer leben wir mit Symbolen. In ihnen erfahren wir und ergreifen wir die Tran-
szendenz, die eigentliche Wirklichkeit. Verlust dieser Wirklichkeit geschieht sowohl
in der Realisierung des Symbols zu einem Dasein in der Welt, wie in der Ästhetisierung
des Symbols zu einem unverbindlichen Leitfaden für Gefühle.
2) Glaube an den Menschen:
Der Glaube an den Menschen ist der Glaube an die Möglichkeit der Freiheit; das
Bild des Menschen bleibt unvollständig, wenn in ihm dieser nicht Bild werdende
Grundzug seiner Existenz fehlt: daß er, von Gott her sich selbst geschenkt, sich selber
verdanken und verschulden soll, was aus ihm wird.
Der Widerhall aus der Geschichte, das Beschwingende im Umgang mit unseren Ah-
nen bis an den Ursprung des Menschengeschlechts ist ihr Suchen der Freiheit, wie sie
Freiheit verwirklichten, in welchen Gestalten sie sie entdeckten und wollten. Wir er-
kennen uns wieder in dem, was Menschen vermochten und was sie aus ihrer geschicht-
lichen Wirklichkeit zu uns sagen.
Zur Freiheit gehört die eigentliche Kommunikation, die mehr ist als Berührung,
Verabredung, Sympathie, Gemeinschaft der Interessen und des Vergnügens.
Freiheit und Kommunikation, beide entziehen sich der Nachweisbarkeit. Wo Nach-
weis durch Erfahrung beginnt, da gibt es keine Freiheit und keine existentielle Kommuni-
kation. Aber beide bringen hervor, was dann auch Gegenstand der Erfahrung wird, ohne
als Erscheinung genügend erklärbar zu sein, und was dann Hinweis ist auf das Freiheits-
geschehen, das in sich, wo wir daran Anteil gewinnen, verständlich und bezwingend ist.
Glaube an den Menschen ist der Glaube an seine Möglichkeiten aus der Freiheit,
nicht Glaube an einen Menschen in Menschenvergötterung. Der Glaube an den Men-
schen setzt voraus den Glauben an die Gottheit, durch die er ist. Ohne Gottesglauben
versinkt der Glaube an den Menschen in die Verachtung des Menschen, in den Ver-
lust der Achtung vor dem Menschen als Menschen mit der Folge, schließlich mit dem
fremden Menschenleben gleichgültig, verbrauchend und vernichtend umzugehen.
| 3) Glaube an Möglichkeiten in der Welt.
Nur falscher Erkenntnis ist die Welt in sich geschlossen, sinkt sie zusammen zu ei-
nem vermeintlich erkennbaren Mechanismus oder zu einem unbestimmten bewußt-
losen Alleben.
Was kritische Erkenntnis an ihrer Grenze zeigt und was der unmittelbaren Erfah-
rung des Sichfindens in dieser rätselvollen Welt entspricht, das ist die Offenheit, die
Unberechenbarkeit im Ganzen, sind die unerschöpfbaren Möglichkeiten.
Glaube an die Welt heißt nicht Glaube an sie als selbstgenügsames Wesen, sondern
Festhalten des Grundrätsels des Sichfindens in der Welt mit Aufgaben und Möglichkeiten.
Die Welt ist Stätte von Aufgaben, ist selber aus der Transzendenz, in ihr begegnet
die Sprache, auf die wir hören, wenn wir verstehen, was wir eigentlich wollen. -

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