Vom Ursprung und Ziel der Geschichte
215
| Einleitung
287
Frage nach dem Sinn geschichtlicher Betrachtungen
Was bedeutet uns eine universalgeschichtliche Anschauung? Wir wollen die Ge-
schichte als ein Ganzes verstehen, um uns selbst zu verstehen. Geschichte ist uns die
Erinnerung, um die wir nicht nur wissen, sondern aus der wir leben. Sie ist der Grund,
der gelegt ist, und an den wir gebunden bleiben, wenn wir nicht in nichts zerrinnen,
sondern Anteil gewinnen wollen am Menschsein.
Geschichtliche Anschauung schafft den Raum, aus dem unser Bewußtsein des
Menschseins erweckt wird. - Das Geschichtsbild wird ein Faktor unseres Wollens. -
Wie wir Geschichte denken, das setzt uns Grenzen für unsere Möglichkeiten oder trägt
uns durch Gehalte oder lenkt uns auch verführend ab von unserer Wirklichkeit. Noch
in der verläßlichen Objektivität ist das geschichtlich Gewußte nicht nur gleichgilti-
ger Sachinhalt, sondern Moment unseres Lebens. Es wirkt auch als Lüge über die Ge-
schichte, wenn solche zur Propaganda für eine Macht benutzt wird. Es liegt der Ernst
der Verantwortung in der Aufgabe, uns im Ganzen der Geschichte zu vergewissern.
Wir können von unserem geschichtlichen Grund entweder wissen durch Anschau-
ung des Großen, das unserem Herzen nahe ist. Wir schwingen uns auf an dem, was
war, wodurch wir geworden sind, was uns Vorbild ist. Wann ein großer Mensch lebte,
das ist dann gleichgiltig. Alles liegt gleichsam auf einer einzigen, zeitlosen Ebene des
Gütigen. Geschichtliche Überlieferung ist uns gleichsam unhistorisch gegenwärtig.
Oder wir können das Große in der zeitlichen Folge des Geschehens bewußt histo-
risch erblicken. Wir fragen nach dem Wann und Wo. Das Ganze ist der Gang durch die
Zeit. Die Zeit ist gegliedert. Nicht ist jederzeit alles, sondern die Zeitalter haben ihre ei-
gene Größe. Das Vergangene hat Gipfel und Täler seiner Bedeutung. Es gibt ruhige Zeit-
alter, in denen zu bestehen scheint, was für immer ist, und die sich selbst als endgil-
tige empfanden. Und es gibt Zeitalter der Wende, in denen Umwälzungen er|folgen, 288
die im äußersten Fall bis in die Tiefe des Menschseins selbst zu dringen scheinen.
Daher wandelt sich mit der Geschichte das geschichtliche Bewußtsein selber. In un-
serem Zeitalter ist es bestimmt durch das Bewußtsein der Krise, das, seit mehr als hun-
dert Jahren langsam gewachsen, heute allgemein das Bewußtsein fast aller Menschen
geworden ist.
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Frage nach dem Sinn geschichtlicher Betrachtungen
Was bedeutet uns eine universalgeschichtliche Anschauung? Wir wollen die Ge-
schichte als ein Ganzes verstehen, um uns selbst zu verstehen. Geschichte ist uns die
Erinnerung, um die wir nicht nur wissen, sondern aus der wir leben. Sie ist der Grund,
der gelegt ist, und an den wir gebunden bleiben, wenn wir nicht in nichts zerrinnen,
sondern Anteil gewinnen wollen am Menschsein.
Geschichtliche Anschauung schafft den Raum, aus dem unser Bewußtsein des
Menschseins erweckt wird. - Das Geschichtsbild wird ein Faktor unseres Wollens. -
Wie wir Geschichte denken, das setzt uns Grenzen für unsere Möglichkeiten oder trägt
uns durch Gehalte oder lenkt uns auch verführend ab von unserer Wirklichkeit. Noch
in der verläßlichen Objektivität ist das geschichtlich Gewußte nicht nur gleichgilti-
ger Sachinhalt, sondern Moment unseres Lebens. Es wirkt auch als Lüge über die Ge-
schichte, wenn solche zur Propaganda für eine Macht benutzt wird. Es liegt der Ernst
der Verantwortung in der Aufgabe, uns im Ganzen der Geschichte zu vergewissern.
Wir können von unserem geschichtlichen Grund entweder wissen durch Anschau-
ung des Großen, das unserem Herzen nahe ist. Wir schwingen uns auf an dem, was
war, wodurch wir geworden sind, was uns Vorbild ist. Wann ein großer Mensch lebte,
das ist dann gleichgiltig. Alles liegt gleichsam auf einer einzigen, zeitlosen Ebene des
Gütigen. Geschichtliche Überlieferung ist uns gleichsam unhistorisch gegenwärtig.
Oder wir können das Große in der zeitlichen Folge des Geschehens bewußt histo-
risch erblicken. Wir fragen nach dem Wann und Wo. Das Ganze ist der Gang durch die
Zeit. Die Zeit ist gegliedert. Nicht ist jederzeit alles, sondern die Zeitalter haben ihre ei-
gene Größe. Das Vergangene hat Gipfel und Täler seiner Bedeutung. Es gibt ruhige Zeit-
alter, in denen zu bestehen scheint, was für immer ist, und die sich selbst als endgil-
tige empfanden. Und es gibt Zeitalter der Wende, in denen Umwälzungen er|folgen, 288
die im äußersten Fall bis in die Tiefe des Menschseins selbst zu dringen scheinen.
Daher wandelt sich mit der Geschichte das geschichtliche Bewußtsein selber. In un-
serem Zeitalter ist es bestimmt durch das Bewußtsein der Krise, das, seit mehr als hun-
dert Jahren langsam gewachsen, heute allgemein das Bewußtsein fast aller Menschen
geworden ist.