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Jaspers, Karl; Salamun, Kurt [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 10): Vom Ursprung und Ziel der Geschichte — Basel: Schwabe Verlag, 2017

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51322#0266
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Vom Ursprung und Ziel der Geschichte

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Einen Fortschritt gibt es daher im Wissen, im Technischen, in den Voraussetzun-
gen neuer menschlicher Möglichkeiten, aber nicht in der Substanz des Menschseins.
Ein Fortschritt im Substantiellen wird durch die Tatsachen widerlegt. Die höchst-
stehenden Völker sind zugrunde gegangen, sind minderwertigen erlegen. Kulturen
sind von Barbaren zerstört worden. Die physische Vernichtung höchststehender Men-
schentypen durch die erdrückenden Realitäten der Masse ist ein Grundphänomen
der | Geschichte. Der sich am meisten vermehrende Durchschnitt, das Anwachsen von 312
gedankenlosen Bevölkerungen triumphiert kampflos durch bloßes Massendasein über
das geistig Höhere. Es gibt ständig die Gegenauslese von Minderwertigen, z. B. in Zu-
ständen, wo List und Brutalität dauerhafte Vorteile versprechen. Man neigt zu dem
Satze: alles Hohe geht zu Grunde, alles Minderwertige dauert.
Gegen solche Verallgemeinerung läßt sich hinweisen auf die Wiederkehr des Gro-
ßen,103 auf das Echo des Großen, auch wenn es Jahrhunderte und länger schweigt. Aber
wie brüchig, wie fraglich und unverläßlich ist diese Dauer!
Man sagt, es seien nur Rückschläge, nur zufälliger Ruin. Auf die Dauer sei doch der
substantielle Fortschritt das Glaubwürdige. Aber gerade diese Zufälle, diese Zerstörun-
gen sind das jedenfalls im Vordergrund überwältigende Grundgeschehen der Ge-
schichte.
Man sagt: wie es bisher gewesen sei, so brauche es nicht zu bleiben. Es liegt an uns,
es besser zu lenken, den Fortschritt gegen die Zufälle und die Blindheit zu erzwingen.
Aber das ist die Utopie des Machenkönnens, des Züchtens dort, wo das Menschsein
selbst in Frage steht, dort, wo man nie den Gegenstand weiß, übersehen und in die
Hand nehmen kann.
Man sagt: der Ruin sei die Folge der Schuld. Wenn wir nur sühnen und uns in ei-
nem reinen Leben bewähren, dann wird es anders. In der Tat, das ist das Mahnwort seit
den alten Propheten, - aber wir wissen nicht, auf welchen Wegen, wann und wie aus
dem sittlich reinen Leben das Gute einer Weltordnung folgt. Wir dürfen die Realität
nicht verleugnen, daß das sittlich Gute keineswegs als solches Erfolg hat, - und auch
nicht um des Erfolges willen getan wird. Aber das sittlich Gute, das die Verantwortung
für den Erfolg und die Folgen in sich aufnimmt, bleibt die einzig große Chance.
Der Fortschritt bringt wohl eine Einheit im Wißbaren, aber nicht die Einheit der
Menschheit. Die Einheit der allgemein gütigen und sich, wo sie gefunden ist, gleich-
bleibenden Wahrheit in ihrem endlosen Fortschritt, wie sie allein in Wissenschaft und
Technik auftritt, diese allgemein mitteilbare und übertragbare, nur an den Verstand
sich wendende Wahrheit ist nicht die Ein|heit der Menschheit. Dieser Fortschritt 313
bringt eine Einheit des Verstandes. Er verbindet die Menschen im Verstand, so daß sie
mit einander rational diskutieren können, aber auch fähig sind, sich mit den gleichen
Waffen der Technik gegenseitig zu vernichten. Denn der Verstand verbindet nur das
Bewußtsein überhaupt, nicht die Menschen. Er bringt keine echte Kommunikation
und keine Solidarität.
 
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