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Jaspers, Karl; Salamun, Kurt [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 10): Vom Ursprung und Ziel der Geschichte — Basel: Schwabe Verlag, 2017

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51322#0268
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Vom Ursprung und Ziel der Geschichte

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Eine Einheit der ältesten Geschichte der Kulturentwicklung von einer Stelle der
Erde aus ist nicht zu sehen. Soweit der empirische Blick reicht, ist vielmehr die Zer-
streutheit der Menschen, sind die vielen Versuche sichtbar und dann das Angeregt-
werden durch Berührung der Menschen und Kulturen, die Entwicklung durch Über-
lagerung verschiedener Kulturen und Völker infolge von Eroberungen, die nivellierende
oder auch zum Außerordentlichen treibende Bedeutung der Mischungen. Immer ist
das Geschehen schon geschichtlich durch Verkehr, ist Hindrängen zur Einheit, nicht
Hervorgehen aus einer ursprünglich gegebenen Einheit.
Die Einheit durch den einen Boden der Erde, durch das gemeinsame Beschlossen-
sein in Raum und Zeit, ist jedoch die äußer|lichste Einheit, die gerade nicht die Einheit 315
der Geschichte trifft. Sie ist aller Realität gemeinsam und kommt nicht nur dem Men-
schen zu. Das bloße Zusammensein der Menschen auf der geschlossenen, von ihnen
erfüllten Erdoberfläche ist noch nicht ihre Einheit. Diese Einheit wird ermöglicht
durch den Verkehr. Aber sie ist noch keineswegs dieser Verkehr als solcher, sondern
erst durch das, was in diesem Verkehr geschieht.
Ein Blick auf den Globus zeigt den relativ schmalen, dazu mehrfach unterbroche-
nen Streifen (vom Mittelmeergebiet bis nach China), auf dessen Boden alles Geistige
entstanden ist, das heute gilt. Es gibt kein geographisches Recht geschichtlicher
Gleichheit.

5. Besondere Einheiten
In der Bewegung der menschlichen Dinge gibt es für unsere Erkenntnis viele Linien,
die getrennt voneinander laufen und sich in der Folge treffen, - oder partikulare Li-
nien, die zwar typisch wiederkehren, aber nur einzelne Züge im Ganzen, nicht das
Ganze bedeuten.
So gibt es die jeweils begrenzte Folge von Kulturerscheinungen. Einige Generatio-
nen hängen in typischen Stilfolgen oder in Gedankenentwicklungen miteinander zu-
sammen, vom Ursprung bis zum Zerfall.
Es gibt Einheiten der Kulturen als einer faktisch gemeinsamen Welt von Lebensfor-
men, Einrichtungen, Vorstellungen, Glaubenseinheiten, - der Völker in ihrer Her-
kunft, ihrer Sprache, ihrem Schicksal, - der Religionen als »Weltreligionen«, welche
transzendent bezogene Lebenshaltungen in Ethos, Glauben, Anschauung über weite
Bereiche verbreiten, - der Staaten als Machteinheiten, welche alles andere formen.
Diese Einheiten entbehren der Universalität. Es sind einzelne Einheiten neben an-
deren, Kulturen neben Kulturen. Es gibt die vielen Völker, Religionen und Staaten.
Diese stehen in bezug aufeinander, Kulturen in stillem Austausch, Staaten im Kampf
und Sichvertragen der Politik, Religionen in Mission und Auseinandersetzung. Alle
verwandeln sich, sind nichts endgiltig Festes, gehen ineinander über.
| Die Geschichte zeigt die großen tatsächlichen Einheiten in ihrer Mächtigkeit, die 316
Kulturkreise als gleichsam unterirdische, ohne Machtanwendung menschenformende
 
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