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Jaspers, Karl; Salamun, Kurt [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 10): Vom Ursprung und Ziel der Geschichte — Basel: Schwabe Verlag, 2017

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51322#0269
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236

Vom Ursprung und Ziel der Geschichte

Ausbreitung, die Völker als unbewußte, vorhistorische Bewegungen, die Religionen als
zwar immer begrenzt bleibende »Weltreligionen«, die Staaten als Imperien.
Alle diese Einheiten pflegen sich zu durchkreuzen und zu überlagern. Die Koinzi-
denz aller Einheiten geschah in höchstem Maße in China seit der Begründung des
Einheitsreichs. Kultur, Religion, Staat fielen zusammen. Das Ganze war die eine Men-
schenwelt, das eine Reich, das für das Bewußtsein der chinesischen Menschen nichts
außer sich hatte als die primitiven Barbaren an den Grenzen, die man als potentiel-
len Bestandteil des Reiches diesem in Gedanken eingegliedert hatte. Vergleicht man
das »Reich der Mitte« mit dem römischen Imperium, so ist der Unterschied beträcht-
lich. Das römische Reich war eine vergleichsweise vorübergehende Erscheinung, ob-
gleich in der Folge die Idee dieses Imperiums einen Jahrtausende währenden Zauber
übte. Es hatte Germanen und Parther als wirkliche, niemals überwundene Mächte
außer sich. Es vermochte trotz kosmisch-religiöser Einheit des Heidentums nicht die
Durchdringung seiner Völker mit dieser Einheit wie in China zu vollziehen, ließ viel-
mehr mit seinem Entstehen zugleich das Christentum wachsen, welches es durch-
brach.
b. Einheit durch Sinn und Ziel
Wenn die mannigfachen Tatbestände, die eine Einheit bedeuten oder auf Einheit deu-
ten, nicht genügen, um die Einheit der Geschichte zu konstituieren, so ist vielleicht
ein anderer Ausgangspunkt möglich. Die Einheit ist nicht Tatbestand, sondern ZieL
Die Einheit der Geschichte erwächst vielleicht dem, daß die Menschen sich verstehen
können in der Idee des Einen, in der einen Wahrheit, in der Welt des Geistes, in dem
alles auf alles seinen sinnhaften Bezug hat, zueinander gehört, und sei es sich zunächst
noch so fremd.
Einheit ist aus dem Sinn, auf den hin die Geschichte geschieht, einem Sinn, der
Bedeutung verleiht dem, was ohne ihn in der Zerstreuung nichtig bliebe.
317 | Dies Ziel kann auftreten als ein verborgener Sinn, den niemand gemeint hat, son-
dern den der Betrachter deutend versucht, oder dann als bewußte Aufgabe, als Wille
zur Einheit ergreift. Der Sinn wird als das Ziel der Geschichte ausgesprochen:
1) Als Ziel gilt die Zivilisation und die Humanisierung des Menschen. Was diese aber
sei über die Daseinsordnung hinaus, ist keineswegs klar bestimmt, sondern selber ge-
schichtlich. Als Daseinsordnung jedoch ist das Ziel die gesetzliche Weltordnung. Der
Weg der Geschichte führt aus der Zerstreutheit über die bloß faktische Berührung in
Frieden und Krieg zum Zusammenleben auf der Erde in einer wirklichen Einheit durch
Recht. Diese Einheit würde vermöge der Ordnung des Daseins allen seelischen und
geistigen schöpferischen Möglichkeiten des Menschen Raum geben.
2) Als Ziel gilt die Freiheit und das Bewußtsein der Freiheit. Was bisher geschah, ist
als Versuch zu deuten, die Freiheit zu erringen.
 
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