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Vom Ursprung und Ziel der Geschichte
nie geboren zu sein, ob er in einen Anfang des Naturzustandes vor aller Kultur drängt,
ob er das Bewußtsein als Verhängnis begreift, die gesamte Geschichte als Irrweg an-
sieht und rückgängig machen will, - es ist in mannigfachen Gestalten immer das Glei-
che. Es ist nicht Überwindung der Geschichte, sondern Ausweichen vor der Ge-
schichte und dem eigenen Dasein in ihr.
6) Wir überschreiten die Geschichte, wenn uns der Mensch in seinen höchsten
Werken gegenwärtig wird, durch die er das Sein gleichsam aufzufangen vermochte und
mitteilbar machte. Was hier von Menschen getan wurde, die sich verzehren ließen von
der durch sie Sprache werdenden ewigen Wahrheit, das ist, obzwar im geschichtlichen
Gewände, über Geschichte hinaus und führt uns auf dem Wege über die geschichtli-
che Welt in das, was vor aller Geschichte ist und durch sie Sprache wird. Da ist nicht
mehr die Frage: woher und wohin, nicht nach Zukunft und Fortschritt, sondern in der
Zeit ist etwas, das nicht mehr nur Zeit, über alle Zeit als das Sein selbst zu uns kommt.
Die Geschichte wird selber der Weg zum Übergeschichtlichen. In der Anschauung
33p des Großen - dem Geschaffenen, Getanen, | Gedachten - leuchtet die Geschichte wie
ewige Gegenwart. Sie befriedigt nicht mehr eine Neugier, sondern wird beschwin-
gende Kraft. Das Große der Geschichte bindet als Gegenstand der Ehrfurcht an den
Grund über aller Geschichte.
7) Die Auffassung der Geschichte im Ganzen führt über die Geschichte hinaus. Die
Einheit der Geschichte ist selbst nicht mehr Geschichte. Diese Einheit ergreifen, das
heißt schon, sich über die Geschichte hinausschwingen in den Grund dieser Einheit,
durch den die Einheit ist, die die Geschichte ganz werden läßt. Aber dieser Aufschwung
über die Geschichte zur Einheit der Geschichte bleibt selber Aufgabe in der Geschichte.
Wir leben nicht im Wissen der Einheit, sofern wir aber aus der Einheit leben, leben wir
in der Geschichte übergeschichtlich.
Aller Aufschwung über die Geschichte wird zur Täuschung, wenn wir die Ge-
schichte verlassen. Die Grundparadoxie unserer Existenz, nur in der Welt über die Welt
hinaus leben zu können, wiederholt sich im geschichtlichen Bewußtsein, das sich über
die Geschichte erhebt. Es gibt keinen Weg um die Welt herum, sondern nur durch die
Welt, keinen Weg um die Geschichte herum, sondern nur durch die Geschichte.
8) Der Blick auf die langen Zeiten der Vorgeschichte und die kurzen der Geschichte
läßt die Frage entstehen: Ist die Geschichte angesichts der Jahrhunderttausende nicht
eine vorübergehende Erscheinung? Die Frage ist im Grunde nicht zu beantworten als
durch den allgemeinen Satz: was einen Anfang hat, hat auch ein Ende, - und dauere
es Millionen oder Milliarden von Jahren.
Aber die Antwort - für unser empirisches Wissen nicht möglich - ist überflüssig für
unser Seinsbewußtsein. Denn wenn auch unser Geschichtsbild stark modifiziert wer-
den mag je nachdem, ob wir einen endlosen Fortschritt sehen, oder den Schatten des
Endes, - wesentlich ist, daß das Geschichtswissen im Ganzen nicht das letzte Wissen
ist. Es kommt an auf den Anspruch an Gegenwärtigkeit als Ewigkeit in der Zeit. Die Ge-
Vom Ursprung und Ziel der Geschichte
nie geboren zu sein, ob er in einen Anfang des Naturzustandes vor aller Kultur drängt,
ob er das Bewußtsein als Verhängnis begreift, die gesamte Geschichte als Irrweg an-
sieht und rückgängig machen will, - es ist in mannigfachen Gestalten immer das Glei-
che. Es ist nicht Überwindung der Geschichte, sondern Ausweichen vor der Ge-
schichte und dem eigenen Dasein in ihr.
6) Wir überschreiten die Geschichte, wenn uns der Mensch in seinen höchsten
Werken gegenwärtig wird, durch die er das Sein gleichsam aufzufangen vermochte und
mitteilbar machte. Was hier von Menschen getan wurde, die sich verzehren ließen von
der durch sie Sprache werdenden ewigen Wahrheit, das ist, obzwar im geschichtlichen
Gewände, über Geschichte hinaus und führt uns auf dem Wege über die geschichtli-
che Welt in das, was vor aller Geschichte ist und durch sie Sprache wird. Da ist nicht
mehr die Frage: woher und wohin, nicht nach Zukunft und Fortschritt, sondern in der
Zeit ist etwas, das nicht mehr nur Zeit, über alle Zeit als das Sein selbst zu uns kommt.
Die Geschichte wird selber der Weg zum Übergeschichtlichen. In der Anschauung
33p des Großen - dem Geschaffenen, Getanen, | Gedachten - leuchtet die Geschichte wie
ewige Gegenwart. Sie befriedigt nicht mehr eine Neugier, sondern wird beschwin-
gende Kraft. Das Große der Geschichte bindet als Gegenstand der Ehrfurcht an den
Grund über aller Geschichte.
7) Die Auffassung der Geschichte im Ganzen führt über die Geschichte hinaus. Die
Einheit der Geschichte ist selbst nicht mehr Geschichte. Diese Einheit ergreifen, das
heißt schon, sich über die Geschichte hinausschwingen in den Grund dieser Einheit,
durch den die Einheit ist, die die Geschichte ganz werden läßt. Aber dieser Aufschwung
über die Geschichte zur Einheit der Geschichte bleibt selber Aufgabe in der Geschichte.
Wir leben nicht im Wissen der Einheit, sofern wir aber aus der Einheit leben, leben wir
in der Geschichte übergeschichtlich.
Aller Aufschwung über die Geschichte wird zur Täuschung, wenn wir die Ge-
schichte verlassen. Die Grundparadoxie unserer Existenz, nur in der Welt über die Welt
hinaus leben zu können, wiederholt sich im geschichtlichen Bewußtsein, das sich über
die Geschichte erhebt. Es gibt keinen Weg um die Welt herum, sondern nur durch die
Welt, keinen Weg um die Geschichte herum, sondern nur durch die Geschichte.
8) Der Blick auf die langen Zeiten der Vorgeschichte und die kurzen der Geschichte
läßt die Frage entstehen: Ist die Geschichte angesichts der Jahrhunderttausende nicht
eine vorübergehende Erscheinung? Die Frage ist im Grunde nicht zu beantworten als
durch den allgemeinen Satz: was einen Anfang hat, hat auch ein Ende, - und dauere
es Millionen oder Milliarden von Jahren.
Aber die Antwort - für unser empirisches Wissen nicht möglich - ist überflüssig für
unser Seinsbewußtsein. Denn wenn auch unser Geschichtsbild stark modifiziert wer-
den mag je nachdem, ob wir einen endlosen Fortschritt sehen, oder den Schatten des
Endes, - wesentlich ist, daß das Geschichtswissen im Ganzen nicht das letzte Wissen
ist. Es kommt an auf den Anspruch an Gegenwärtigkeit als Ewigkeit in der Zeit. Die Ge-