Stellenkommentar
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System der Rechtslehre, 1812. In Jaspers’ Nachlass finden sich Fragmente einer kritischen Be-
urteilung Fichtes, im Zuge derer Fichte eine »gewaltsame Denkungsart« und eine Verfäl-
schung der praktischen Philosophie Kants vorgeworfen wird (vgl. K. Jaspers: Die großen Phi-
losophen. Nachlaß, Bd. 2, 702-704).
50 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph, 1775-1854; Professor für Philosophie an den Univer-
sitäten Jena, Würzburg, München und Berlin, dort als Nachfolger Hegels; entwarf eine spe-
kulative Identitätsphilosophie (Identität von Subjekt und Objekt), eine Naturphilosophie,
Philosophie der Mythologie und Offenbarung sowie metaphilosophische Argumente zur
Rechtfertigung der spekulativen Philosophie des Deutschen Idealismus. Werke: Ideen zur
Philosophie der Natur, 1797; Von der Weltseele, 1798; System des transzendentalen Idealismus,
1800. Jaspers hat sich mit Schellings Philosophie ausführlich auseinandergesetzt und ein
Buch über ihn geschrieben. Die Einschätzung von Schelling ist dabei ambivalent. Einer-
seits werden die differenzierenden Spekulationen über die Seinsgeschichte und das Sein po-
sitiv beurteilt und Schellings Metaphilosophie und Philosophie der Mythologie gewürdigt.
Andererseits übt Jaspers Kritik an der Person Schellings wegen dessen übertriebenem »Gel-
tungswillen« und dem »maßlosen Anspruch«, im Vergleich zu Fichte und Hegel die einzig
wahre Philosophie entwickelt zu haben. Auch zentrale Begriffe von Schellings Philosophie
(z.B. »intellektuelle Anschauung«, »philosophische Religion«) werden kritisiert. Aus der
Sicht seiner eigenen Philosophie wirft Jaspers Schelling vor, durch »Objektivierungen« des
Seins ein »Scheinwissen« verbreitet zu haben. Er habe zwar immer wieder versucht, die Sub-
jekt-Objekt-Spaltung zum umgreifenden Sein hin zu überschreiten, dabei aber einen ob-
jektivierenden Chiffern-Begriff verwendet, der dem ungegenständlichen Charakter der
Transzendenz nicht gerecht werde (vgl. K. Jaspers: Schelling. Größe und Verhängnis, 192-221).
Vorweggenommen hat Jaspers die wichtigsten Argumente seines Schelling-Buches bereits
in einem Vortrag auf einer Schelling-Tagung im Jahr 1954, der Vortrag wurde unter dem
Titel des Buches in der Zeitschrift Studia Philosophien (14 [1954] 12-38) veröffentlicht.
51 Aussagen über den Einfluss der Technik auf die menschliche Lebenswelt finden sich auch
in anderen Werken von Jaspers: In der Allgemeine Psychopathologie [1946] überlegt Jaspers,
inwieweit sich durch die »Technisierung des gesamten Lebens [...] die psychophysischen
Bedingungen« in der modernen Gesellschaft verändert haben (vgl. ebd., 600-601); in der
Psychologie der Weltanschauungen reflektiert er über die Grenzen der Technik und des
mechanischen, »technischen Weltbildes«, das er dem »naturgeschichtlichen« und »natur-
mythischen Weltbild« gegenüber stellt (vgl. ebd., 163-168); in Die geistige Situation derzeit
steht das Verhältnis von Technik und Massengesellschaft im Mittelpunkt von Jaspers’ Über-
legungen (vgl. ebd., 32-62); eine zentrale Überlegung in Die Atombombe und die Zukunft des
Menschen besteht darin, dass die moderne Technik einerseits weltweite Kommunikation
(durch die Entwicklung der Verkehrs- und Informationstechnologien) ermöglicht, ande-
rerseits aber zur Möglichkeit der kollektiven Selbstausrottung der Menschheit (durch die
Atomtechnologie) und zur Möglichkeit der Errichtung eines totalitären Überwachungs-
staates geführt habe. Letzteres wird vor allem im Abschnitt »Totale Herrschaft und Tech-
nik« erörtert (vgl. dort 167-173). Zu Jaspers’ Totalitarismus-These vgl. auch den Artikel »Im
Kampf mit dem Totalitarismus«. Es liegt nahe, dass Jaspers’ Totalitarismus-These von
H. Arendts Standardwerk zur Totalitarismus-Forschung Elemente und Ursprünge totaler Herr-
schaft (engl. 1951, dt. 1955) wesentlich beeinflusst wurde, er hat zur deutschen Ausgabe
dieses Buches das Geleitwort geschrieben. Zu H. Arendt vgl. Stellenkommentar Nr. 75.
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System der Rechtslehre, 1812. In Jaspers’ Nachlass finden sich Fragmente einer kritischen Be-
urteilung Fichtes, im Zuge derer Fichte eine »gewaltsame Denkungsart« und eine Verfäl-
schung der praktischen Philosophie Kants vorgeworfen wird (vgl. K. Jaspers: Die großen Phi-
losophen. Nachlaß, Bd. 2, 702-704).
50 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph, 1775-1854; Professor für Philosophie an den Univer-
sitäten Jena, Würzburg, München und Berlin, dort als Nachfolger Hegels; entwarf eine spe-
kulative Identitätsphilosophie (Identität von Subjekt und Objekt), eine Naturphilosophie,
Philosophie der Mythologie und Offenbarung sowie metaphilosophische Argumente zur
Rechtfertigung der spekulativen Philosophie des Deutschen Idealismus. Werke: Ideen zur
Philosophie der Natur, 1797; Von der Weltseele, 1798; System des transzendentalen Idealismus,
1800. Jaspers hat sich mit Schellings Philosophie ausführlich auseinandergesetzt und ein
Buch über ihn geschrieben. Die Einschätzung von Schelling ist dabei ambivalent. Einer-
seits werden die differenzierenden Spekulationen über die Seinsgeschichte und das Sein po-
sitiv beurteilt und Schellings Metaphilosophie und Philosophie der Mythologie gewürdigt.
Andererseits übt Jaspers Kritik an der Person Schellings wegen dessen übertriebenem »Gel-
tungswillen« und dem »maßlosen Anspruch«, im Vergleich zu Fichte und Hegel die einzig
wahre Philosophie entwickelt zu haben. Auch zentrale Begriffe von Schellings Philosophie
(z.B. »intellektuelle Anschauung«, »philosophische Religion«) werden kritisiert. Aus der
Sicht seiner eigenen Philosophie wirft Jaspers Schelling vor, durch »Objektivierungen« des
Seins ein »Scheinwissen« verbreitet zu haben. Er habe zwar immer wieder versucht, die Sub-
jekt-Objekt-Spaltung zum umgreifenden Sein hin zu überschreiten, dabei aber einen ob-
jektivierenden Chiffern-Begriff verwendet, der dem ungegenständlichen Charakter der
Transzendenz nicht gerecht werde (vgl. K. Jaspers: Schelling. Größe und Verhängnis, 192-221).
Vorweggenommen hat Jaspers die wichtigsten Argumente seines Schelling-Buches bereits
in einem Vortrag auf einer Schelling-Tagung im Jahr 1954, der Vortrag wurde unter dem
Titel des Buches in der Zeitschrift Studia Philosophien (14 [1954] 12-38) veröffentlicht.
51 Aussagen über den Einfluss der Technik auf die menschliche Lebenswelt finden sich auch
in anderen Werken von Jaspers: In der Allgemeine Psychopathologie [1946] überlegt Jaspers,
inwieweit sich durch die »Technisierung des gesamten Lebens [...] die psychophysischen
Bedingungen« in der modernen Gesellschaft verändert haben (vgl. ebd., 600-601); in der
Psychologie der Weltanschauungen reflektiert er über die Grenzen der Technik und des
mechanischen, »technischen Weltbildes«, das er dem »naturgeschichtlichen« und »natur-
mythischen Weltbild« gegenüber stellt (vgl. ebd., 163-168); in Die geistige Situation derzeit
steht das Verhältnis von Technik und Massengesellschaft im Mittelpunkt von Jaspers’ Über-
legungen (vgl. ebd., 32-62); eine zentrale Überlegung in Die Atombombe und die Zukunft des
Menschen besteht darin, dass die moderne Technik einerseits weltweite Kommunikation
(durch die Entwicklung der Verkehrs- und Informationstechnologien) ermöglicht, ande-
rerseits aber zur Möglichkeit der kollektiven Selbstausrottung der Menschheit (durch die
Atomtechnologie) und zur Möglichkeit der Errichtung eines totalitären Überwachungs-
staates geführt habe. Letzteres wird vor allem im Abschnitt »Totale Herrschaft und Tech-
nik« erörtert (vgl. dort 167-173). Zu Jaspers’ Totalitarismus-These vgl. auch den Artikel »Im
Kampf mit dem Totalitarismus«. Es liegt nahe, dass Jaspers’ Totalitarismus-These von
H. Arendts Standardwerk zur Totalitarismus-Forschung Elemente und Ursprünge totaler Herr-
schaft (engl. 1951, dt. 1955) wesentlich beeinflusst wurde, er hat zur deutschen Ausgabe
dieses Buches das Geleitwort geschrieben. Zu H. Arendt vgl. Stellenkommentar Nr. 75.