Stellenkommentar
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84 Dieses Tocqueville-Zitat stammt aus dem Kapitel »Das Ancien Regime und die Revolu-
tion«, in: A. de Tocqueville: Autorität und Freiheit. Schriften, Reden und Briefe, ausgewählt
und eingeleitet von A. Salomon, Zürich 1935, 321. Das in der KJB vorhandene Exemplar
weist von der Einleitung bis zum Ende auf Seite 342 nahezu auf jeder Seite Unterstrei-
chungen auf. In Jaspers’ Exemplar von Tocquevilles Hauptwerk Über die Demokratie in
Amerika, übersetzt von F. A. Rüder, Leipzig 1836, sind vor allem Textstellen über die
Themen »allgemeines Stimmrecht« (S. 30), »Verhältnis der Aristokratie zur Demokra-
tie« (S. 56), »Regierung und demokratische Verfassung« (S. 98-99,108), sowie »Religion
und Staat« (S. 170-173, 177, 298-299) unterstrichen und durch senkrechte Seitenstriche
markiert.
85 In diesem Abschnitt verwendet Jaspers das Wort »Sozialismus« in zwei grundsätzlich ver-
schiedenen Bedeutungen. Im positiven Sinn versteht er darunter als Grundtendenz des
Zeitalters der Moderne einen liberalen, demokratischen Sozialismus, dessen »Ursprung die
Idee der Freiheit und Gerechtigkeit für alle« sei (177). Jaspers verbindet damit unter ande-
rem Verteilungsgerechtigkeit als Bedingung von Freiheit und meint, dass in diesem Sinn
»heute fast jeder Sozialist« sei (162). In einer negativen Bedeutung verwendet Jaspers das
Wort »Sozialismus«, wenn es mit »Marxismus« oder »Kommunismus« gleichgesetzt wird.
Zur Zeit der Abfassung dieses Buchs war der marxistische Sozialismus ein »Grundzug des
Zeitalters« (ebd.). Er diente damals der Sowjetunion und den mit ihr verbündeten Staaten
des sogenannt »real existierenden Sozialismus« als Staatsideologie zur Legitimation der
totalitären staatlichen Herrschaftsausübung. In einer späteren Textpassage stellt Jaspers
diese beiden sozialistischen Weltanschauungen einander in einer Form gegenüber, die für
seine Methode der alternativ zugespitzten Formulierungen typisch ist: »Der Sozialismus,
der als Kommunismus im Enthusiasmus für das sicher zu gewinnende Heil der Mensch-
heit in totaler Planung mit Gewalt die Gestaltung der Zukunft in die Hand nimmt, und
der Sozialismus als Idee schrittweiser Verwirklichung im Miteinander einer freien Demo-
kratie sind einander fremd. Der erste verzehrt den sich ihm hingehenden Menschen in ei-
nem als Wissenschaft auftretenden Glauben und die Nichtgläubigen als ein verfügbares
Material der Gewalt. Der zweite bezaubert nicht, lebt gegenwärtig, bedarf der Nüchternheit
der Vernunft und der Menschlichkeit der unablässigen Kommunikation.« (176) Ein posi-
tives Verständnis des Sozialismus ist bereits aus Jaspers’ Beantwortung eines Fragebogens
der amerikanischen Militärverwaltung vom Juli 1945 ersichtlich, wo er »Socialismus« mit
»Freiheit«, »öffentlicher uneingeschränkter Diskussion«, »zuverlässiger Gesetzmäßigkeit«
und mit der »Socialisierung« von nicht konkurrenzfähigen, auf bloße Verwaltung reduzier-
ten, wirtschaftlichen Großbetrieben verbindet (vgl. maschingeschriebenes Manuskript von
9 Seiten, S. 8, im Jaspers-Nachlass, DLA Marbach). Es liegt nahe, dass Jaspers’ positives So-
zialismus-Verständnis auch von der Diskussion um einen »freien Sozialismus« beeinflusst
wurde, die nach dem Ende des Krieges unter Heidelberger Intellektuellen geführt wurde.
Am 22.11.1946 gründeten u.a. Alfred Weber und Dolf Sternberger, die damals zusammen
mit Jaspers die Zeitschrift Die Wandlung herausgaben, eine »Aktionsgruppe Heidelberg zur
Demokratie und zum Freien Sozialismus« (vgl. die Programmschrift von Alexander Mit-
scherlich und A. Weber: Freier Sozialismus, Heidelberg 1946; vgl. dazu auch: E. Demm: »Al-
fred Webers Treier Sozialismus*«, in: Heidelberg 1945, hg. von J. C. Heß, H. Lehmann und
V. Sellin in Verbindung mit D. Junker und E. Wolgast, Stuttgart 1996, 329-347).
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84 Dieses Tocqueville-Zitat stammt aus dem Kapitel »Das Ancien Regime und die Revolu-
tion«, in: A. de Tocqueville: Autorität und Freiheit. Schriften, Reden und Briefe, ausgewählt
und eingeleitet von A. Salomon, Zürich 1935, 321. Das in der KJB vorhandene Exemplar
weist von der Einleitung bis zum Ende auf Seite 342 nahezu auf jeder Seite Unterstrei-
chungen auf. In Jaspers’ Exemplar von Tocquevilles Hauptwerk Über die Demokratie in
Amerika, übersetzt von F. A. Rüder, Leipzig 1836, sind vor allem Textstellen über die
Themen »allgemeines Stimmrecht« (S. 30), »Verhältnis der Aristokratie zur Demokra-
tie« (S. 56), »Regierung und demokratische Verfassung« (S. 98-99,108), sowie »Religion
und Staat« (S. 170-173, 177, 298-299) unterstrichen und durch senkrechte Seitenstriche
markiert.
85 In diesem Abschnitt verwendet Jaspers das Wort »Sozialismus« in zwei grundsätzlich ver-
schiedenen Bedeutungen. Im positiven Sinn versteht er darunter als Grundtendenz des
Zeitalters der Moderne einen liberalen, demokratischen Sozialismus, dessen »Ursprung die
Idee der Freiheit und Gerechtigkeit für alle« sei (177). Jaspers verbindet damit unter ande-
rem Verteilungsgerechtigkeit als Bedingung von Freiheit und meint, dass in diesem Sinn
»heute fast jeder Sozialist« sei (162). In einer negativen Bedeutung verwendet Jaspers das
Wort »Sozialismus«, wenn es mit »Marxismus« oder »Kommunismus« gleichgesetzt wird.
Zur Zeit der Abfassung dieses Buchs war der marxistische Sozialismus ein »Grundzug des
Zeitalters« (ebd.). Er diente damals der Sowjetunion und den mit ihr verbündeten Staaten
des sogenannt »real existierenden Sozialismus« als Staatsideologie zur Legitimation der
totalitären staatlichen Herrschaftsausübung. In einer späteren Textpassage stellt Jaspers
diese beiden sozialistischen Weltanschauungen einander in einer Form gegenüber, die für
seine Methode der alternativ zugespitzten Formulierungen typisch ist: »Der Sozialismus,
der als Kommunismus im Enthusiasmus für das sicher zu gewinnende Heil der Mensch-
heit in totaler Planung mit Gewalt die Gestaltung der Zukunft in die Hand nimmt, und
der Sozialismus als Idee schrittweiser Verwirklichung im Miteinander einer freien Demo-
kratie sind einander fremd. Der erste verzehrt den sich ihm hingehenden Menschen in ei-
nem als Wissenschaft auftretenden Glauben und die Nichtgläubigen als ein verfügbares
Material der Gewalt. Der zweite bezaubert nicht, lebt gegenwärtig, bedarf der Nüchternheit
der Vernunft und der Menschlichkeit der unablässigen Kommunikation.« (176) Ein posi-
tives Verständnis des Sozialismus ist bereits aus Jaspers’ Beantwortung eines Fragebogens
der amerikanischen Militärverwaltung vom Juli 1945 ersichtlich, wo er »Socialismus« mit
»Freiheit«, »öffentlicher uneingeschränkter Diskussion«, »zuverlässiger Gesetzmäßigkeit«
und mit der »Socialisierung« von nicht konkurrenzfähigen, auf bloße Verwaltung reduzier-
ten, wirtschaftlichen Großbetrieben verbindet (vgl. maschingeschriebenes Manuskript von
9 Seiten, S. 8, im Jaspers-Nachlass, DLA Marbach). Es liegt nahe, dass Jaspers’ positives So-
zialismus-Verständnis auch von der Diskussion um einen »freien Sozialismus« beeinflusst
wurde, die nach dem Ende des Krieges unter Heidelberger Intellektuellen geführt wurde.
Am 22.11.1946 gründeten u.a. Alfred Weber und Dolf Sternberger, die damals zusammen
mit Jaspers die Zeitschrift Die Wandlung herausgaben, eine »Aktionsgruppe Heidelberg zur
Demokratie und zum Freien Sozialismus« (vgl. die Programmschrift von Alexander Mit-
scherlich und A. Weber: Freier Sozialismus, Heidelberg 1946; vgl. dazu auch: E. Demm: »Al-
fred Webers Treier Sozialismus*«, in: Heidelberg 1945, hg. von J. C. Heß, H. Lehmann und
V. Sellin in Verbindung mit D. Junker und E. Wolgast, Stuttgart 1996, 329-347).