Stellenkommentar AC 2, KSA 6, S. 170 35
Sätze wie 170, 2-6 werden in der zeitgenössischen philosophisch-ästheti-
schen Literatur übrigens gerne formuliert, vgl. z. B. Heinrich Viehoffs Poetik:
„Alles, was unsere lebendige Kraft vermehrt, unsern Lebensproceß erhöht und
fördert, gibt Lust, alles hingegen, was die Kraft, den Lebensproceß hemmt und
herabdrückt, erzeugt Unlust" (Viehoff 1888, 1, 188). Zur Erhärtung seines Sat-
zes beruft sich Viehoff 1888, 1, 190 f. auf das N. wohlbekannte Buch Über die
Natur der Cometen von Johann Carl Friedrich Zöllner (1872).
170, 4 Was ist schlecht? — Alles, was aus der Schwäche stammt.] AC 57, KSA 6,
244, 31 erweitert die Antwort auf diese Frage: „Alles, was aus Schwäche, aus
Neid, aus Rache stammt." Diese ,schwache' Art von Ermächtigung und
Machtentfaltung hat bloß reaktiven Charakter; sie hat ihren Ursprung nicht in
der Überfülle eigener Kräfte, sondern wird aus dem Ressentiment geboren.
170, 5 f. Was ist Glück? — Das Gefühl davon, dass die Macht wächst, dass ein
Widerstand überwunden wird.] Vgl. Höffding 1887, 307: „Dass das Gefühl der
Macht die aktive oder positive Form der mit der Selbsterhaltung verknüpften
Gefühle ist, kommt daher, dass die Vorstellung von der Ursache eines Lustge-
fühls (oder von dem Hindernis eines Schmerzes) nur dann Lust erregen kann,
wenn wir zugleich glauben, diese Ursache (oder dieses Hindernis) in unsrer
Gewalt zu haben."
170, 7 Nicht Zufriedenheit, sondern mehr Macht] Im Unterschied zu Höffding
1887, 306 liegt bei N. in der ständigen Machtsteigerung, nicht im bloßen Macht-
erhalt das Gute. Bei Höffding wurde — unter der Kapitelüberschrift „Die Psy-
chologie des Gefühls" — ohnehin nur psychologisch analysiert und kein Werte-
kanon aufgestellt.
170, 7f. nicht Friede überhaupt, sondern Krieg] Vgl. NK KSA 6, 57, 12-14. Die
antichristliche Tendenz des Glücksbegriffs in 170, 5-8 wird daran deutlich,
dass der Frieden gerade nicht als Wünschbarkeit erscheint. Auch zeigt sich N.
hier nicht der liberalen Vorstellung zugetan, Glück sei Privatsache. Vielmehr
erscheint Glück als etwas, was sich gleichfalls katechetisch dekretieren lässt.
„Zufriedenheit" (170, 7) markiert das radikale Gegenteil dieser Form von Glück.
Zum Krieg vgl. NK KSA 6, 57, 12-14.
170, 8-10 nicht Tugend, sondern Tüchtigkeit (Tugend im Renaissance-Stile,
virtü, moralinfreie Tugend)] „Glück" meint nicht römische fortuna, sondern
virtü: Es ist gewollt, selbstgemacht und kein unverdientes Geschenk des fatum.
Dennoch scheint es schicksalsgegebene, das heißt, „natürliche" Anlagen zu
geben, die erst die kriegerische Tüchtigkeit ermöglichen. Während bei Jacob
Burckhardt die „virtü" nur marginal vorkommt, hat Brobjer 1995, 81, Anm. 37
nachgewiesen, dass sich N. dazu bei Gebhart 1887, 4 u. ö. inspirieren ließ. Die
Sätze wie 170, 2-6 werden in der zeitgenössischen philosophisch-ästheti-
schen Literatur übrigens gerne formuliert, vgl. z. B. Heinrich Viehoffs Poetik:
„Alles, was unsere lebendige Kraft vermehrt, unsern Lebensproceß erhöht und
fördert, gibt Lust, alles hingegen, was die Kraft, den Lebensproceß hemmt und
herabdrückt, erzeugt Unlust" (Viehoff 1888, 1, 188). Zur Erhärtung seines Sat-
zes beruft sich Viehoff 1888, 1, 190 f. auf das N. wohlbekannte Buch Über die
Natur der Cometen von Johann Carl Friedrich Zöllner (1872).
170, 4 Was ist schlecht? — Alles, was aus der Schwäche stammt.] AC 57, KSA 6,
244, 31 erweitert die Antwort auf diese Frage: „Alles, was aus Schwäche, aus
Neid, aus Rache stammt." Diese ,schwache' Art von Ermächtigung und
Machtentfaltung hat bloß reaktiven Charakter; sie hat ihren Ursprung nicht in
der Überfülle eigener Kräfte, sondern wird aus dem Ressentiment geboren.
170, 5 f. Was ist Glück? — Das Gefühl davon, dass die Macht wächst, dass ein
Widerstand überwunden wird.] Vgl. Höffding 1887, 307: „Dass das Gefühl der
Macht die aktive oder positive Form der mit der Selbsterhaltung verknüpften
Gefühle ist, kommt daher, dass die Vorstellung von der Ursache eines Lustge-
fühls (oder von dem Hindernis eines Schmerzes) nur dann Lust erregen kann,
wenn wir zugleich glauben, diese Ursache (oder dieses Hindernis) in unsrer
Gewalt zu haben."
170, 7 Nicht Zufriedenheit, sondern mehr Macht] Im Unterschied zu Höffding
1887, 306 liegt bei N. in der ständigen Machtsteigerung, nicht im bloßen Macht-
erhalt das Gute. Bei Höffding wurde — unter der Kapitelüberschrift „Die Psy-
chologie des Gefühls" — ohnehin nur psychologisch analysiert und kein Werte-
kanon aufgestellt.
170, 7f. nicht Friede überhaupt, sondern Krieg] Vgl. NK KSA 6, 57, 12-14. Die
antichristliche Tendenz des Glücksbegriffs in 170, 5-8 wird daran deutlich,
dass der Frieden gerade nicht als Wünschbarkeit erscheint. Auch zeigt sich N.
hier nicht der liberalen Vorstellung zugetan, Glück sei Privatsache. Vielmehr
erscheint Glück als etwas, was sich gleichfalls katechetisch dekretieren lässt.
„Zufriedenheit" (170, 7) markiert das radikale Gegenteil dieser Form von Glück.
Zum Krieg vgl. NK KSA 6, 57, 12-14.
170, 8-10 nicht Tugend, sondern Tüchtigkeit (Tugend im Renaissance-Stile,
virtü, moralinfreie Tugend)] „Glück" meint nicht römische fortuna, sondern
virtü: Es ist gewollt, selbstgemacht und kein unverdientes Geschenk des fatum.
Dennoch scheint es schicksalsgegebene, das heißt, „natürliche" Anlagen zu
geben, die erst die kriegerische Tüchtigkeit ermöglichen. Während bei Jacob
Burckhardt die „virtü" nur marginal vorkommt, hat Brobjer 1995, 81, Anm. 37
nachgewiesen, dass sich N. dazu bei Gebhart 1887, 4 u. ö. inspirieren ließ. Die