58 Der Antichrist. Fluch auf das Christenthum
hauers Philosophie bereits als „nihilisme pessimiste" charakterisiert (von N.
mit Randstrich markiert); N. wendet die Bezeichnung „Nihilismus" auf Scho-
penhauers Philosophie erst im späten Nachlass an (NL 1887, KSA 12, 10[150],
539 f. = KGW IX 6, W II 2, 41-42, 45-46; NL 1888, KSA 13, 12[1](256), 206 = KGW
IX 7, W II 4, 86, 12; NL 1888, KSA 13, 17[7], 528 f.).
173, 25-27 dieser depressive und contagiöse Instinkt kreuzt jene Instinkte, wel-
che auf Erhaltung und Werth-Erhöhung des Lebens aus sind] Bereits in 173, 10
„kreuzt" das Mitleid das „Gesetz der Entwicklung". Die „Instinkte" der „Erhal-
tung" und „Werth-Erhöhung" stehen damit in enger Verbindung zu jenem omi-
nösen „Gesetz", das nicht als individuelle Lebensmaxime oder als für eine
Gemeinschaft Gesetztes, sondern als physische, eben instinktive Gegebenheit
verstanden wird. Die objektivistisch-naturwissenschaftliche Lesart des „Geset-
zes" erhält dadurch Nachdruck. Immerhin handelt es sich nun um den Kampf
zweier entgegengesetzter, aber jeweils (in jedem Individuum?) gegebener „In-
stinkte", die sowohl erworben als auch angeboren sein könnten. Die Taxierung
„depressiv" und „contagiös" ist offenkundig eine Wertung aus der Perspektive
des „höheren Typus", die die Angeborenheit der „Instinkte" fragwürdig macht.
Denn im Fall der Angeborenheit, des schlichten physiologischen Vorhanden-
seins könnten sie schwerlich „contagiös", ansteckend sein. Wozu dann aber
antichristliche Polemik, wenn die Ausbreitung des epidemischen Lebensunwil-
lens durch die Macht des Wortes (oder des Messers) nicht unterbunden werden
kann?
173, 26 Instinkt] In Mp XVI 4: „Affekt" (KSA 14, 437).
173, 29 Hauptwerlczeug] In Mp XVI 4: „Hauptmittel" (KSA 14, 437).
173, 29 decadence] In Mp XVI 4: „Degenerescenz" (KSA 14, 437).
173, 30 nicht] Im Druckmanuskript „nichts", verbessert von Heinrich Köselitz
(KSA 14, 437).
173, 29-32 Mitleiden überredet zum Nichts!... Man sagt nicht „Nichts": man
sagt dafür „Jenseits"; oder „Gott"; oder „das wahre Leben"; oder Nirvana,
Erlösung, Seligkeit...] Hier wird die bisherige Linie der Argumentation verlas-
sen: War schon von der Anmaßung des ,minderwertigen' Lebens die Rede, auf
seinem Leben und Überleben zu bestehen, so wird jetzt das höhere Leben
behandelt, das sich durch das Mitleiden von seinen Lebensinteressen ablenken
lasse. Nicht gemeint sein kann, dass durch das Mitleid die Schwachen selber
zum Nichts überredet würden. Dies käme ja dem Wollen der „Wir" entgegen,
denn so beschleunigte sich der „Untergang" der ohnehin dazu Verurteilten.
174, 3 Mitleid] „Mitleiden" und „Mitleid", das hier in AC 7 erstmals vorkommt
(in 173, 23 von den Herausgebern ergänzt), werden weitgehend synonym
hauers Philosophie bereits als „nihilisme pessimiste" charakterisiert (von N.
mit Randstrich markiert); N. wendet die Bezeichnung „Nihilismus" auf Scho-
penhauers Philosophie erst im späten Nachlass an (NL 1887, KSA 12, 10[150],
539 f. = KGW IX 6, W II 2, 41-42, 45-46; NL 1888, KSA 13, 12[1](256), 206 = KGW
IX 7, W II 4, 86, 12; NL 1888, KSA 13, 17[7], 528 f.).
173, 25-27 dieser depressive und contagiöse Instinkt kreuzt jene Instinkte, wel-
che auf Erhaltung und Werth-Erhöhung des Lebens aus sind] Bereits in 173, 10
„kreuzt" das Mitleid das „Gesetz der Entwicklung". Die „Instinkte" der „Erhal-
tung" und „Werth-Erhöhung" stehen damit in enger Verbindung zu jenem omi-
nösen „Gesetz", das nicht als individuelle Lebensmaxime oder als für eine
Gemeinschaft Gesetztes, sondern als physische, eben instinktive Gegebenheit
verstanden wird. Die objektivistisch-naturwissenschaftliche Lesart des „Geset-
zes" erhält dadurch Nachdruck. Immerhin handelt es sich nun um den Kampf
zweier entgegengesetzter, aber jeweils (in jedem Individuum?) gegebener „In-
stinkte", die sowohl erworben als auch angeboren sein könnten. Die Taxierung
„depressiv" und „contagiös" ist offenkundig eine Wertung aus der Perspektive
des „höheren Typus", die die Angeborenheit der „Instinkte" fragwürdig macht.
Denn im Fall der Angeborenheit, des schlichten physiologischen Vorhanden-
seins könnten sie schwerlich „contagiös", ansteckend sein. Wozu dann aber
antichristliche Polemik, wenn die Ausbreitung des epidemischen Lebensunwil-
lens durch die Macht des Wortes (oder des Messers) nicht unterbunden werden
kann?
173, 26 Instinkt] In Mp XVI 4: „Affekt" (KSA 14, 437).
173, 29 Hauptwerlczeug] In Mp XVI 4: „Hauptmittel" (KSA 14, 437).
173, 29 decadence] In Mp XVI 4: „Degenerescenz" (KSA 14, 437).
173, 30 nicht] Im Druckmanuskript „nichts", verbessert von Heinrich Köselitz
(KSA 14, 437).
173, 29-32 Mitleiden überredet zum Nichts!... Man sagt nicht „Nichts": man
sagt dafür „Jenseits"; oder „Gott"; oder „das wahre Leben"; oder Nirvana,
Erlösung, Seligkeit...] Hier wird die bisherige Linie der Argumentation verlas-
sen: War schon von der Anmaßung des ,minderwertigen' Lebens die Rede, auf
seinem Leben und Überleben zu bestehen, so wird jetzt das höhere Leben
behandelt, das sich durch das Mitleiden von seinen Lebensinteressen ablenken
lasse. Nicht gemeint sein kann, dass durch das Mitleid die Schwachen selber
zum Nichts überredet würden. Dies käme ja dem Wollen der „Wir" entgegen,
denn so beschleunigte sich der „Untergang" der ohnehin dazu Verurteilten.
174, 3 Mitleid] „Mitleiden" und „Mitleid", das hier in AC 7 erstmals vorkommt
(in 173, 23 von den Herausgebern ergänzt), werden weitgehend synonym