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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0083
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60 Der Antichrist. Fluch auf das Christenthum

eine zentrale Thematik christlicher Buß- und Rechtfertigungstheorie invertiert:
Sünde wird dort mit schwerer, ansteckender Krankheit, Ermahnung im Glau-
ben und Kirchenzucht mit Medizin assoziiert; die Sünder müssen mithin von
den übrigen Gläubigen isoliert und behandelt werden. Zum eigentlich chirurgi-
schen Eingriff kommt es mit der Exkommunikation; sie dient dem Schutz der
Gemeinschaft. Vgl. z. B. die Belegstellen aus Clemens Alexandrinus und Augus-
tinus bei Benrath 1981, 455 f., zu N.s Vorliebe für Physiologisches z. B. NK
KSA 6, 144, 18. Die Vorliebe für medizinische Metaphorik (und für das im über-
tragenen Sinne verstandene ,Sezieren') ist zeittypisch (z. B. bei Gustave Flau-
bert).
174, 16 das ist unsre Art Menschenliebe] Zusatz im Druckmanuskript (KSA 14,
437).
174, 16 f. Philosophen] Danach im Druckmanuskript gestrichen: „wir Philan-
thropen," (KSA 14, 437).
174, 17 Hyperboreer] Vgl. NK 169, 2 f. Die „Hyperboreer" mischen sich jetzt
handfest ins Geschehen ein, sind die eigentlichen Gegner des Mitleids und
begnügen sich keineswegs mit friedlicher Abgeschiedenheit. Sie verfolgen
innerweltliche Interessen, die es fast zweifelhaft machen, dass sie mit den um
Irdisches unbesorgten Wesen von AC 1 identisch sind.

8-14
174, 18-181, 9 Diese Abschnitte standen zunächst unter der Überschrift „Für
uns — wider uns" (KSA 14, 438).

8
Da die theologische Verkehrung der Werte bis hinein in die Philosophie ihre
Kreise ziehe (174, 21), muss ihr drastisch begegnet werden. AC 8 stellt nicht
nur die öffentlichen Repräsentanten der (christlichen) Religion — „Priester"
und „Theologen" — an den Pranger, sondern verlangt die Gesinnungsprüfung
auch bei vermeintlich säkularen Vertretern des Geistes. Die Sphäre der Philoso-
phie, der Wissenschaft gerät in einen quasi gnostischen Universalverdacht —
in einen Verdacht, dem sie seitens der Theologie stets ausgesetzt war, weil
man sie der Weltlichkeit zieh (vgl. 175, 3). Nun hat sich das Anklageverhältnis
umgekehrt.
 
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