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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0104
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Stellenkommentar AC 13, KSA 6, S. 179 81

179, 9-11 eine leibhafte Kriegs- und Siegs-Erklärung an alle alten Begriffe
von „wahr" und „unwahr"] Mit der Sperrung der Leibhaftigkeit wird zum einen
auf die Rehabilitation der Leiblichkeit gegen die leibfeindliche Metaphysik der
Theologen angespielt. Zum anderen identifizieren sich die „freien Geister" völ-
lig mit ihrer Bestimmung, wie sich der johanneische Christus mit dem Weg,
der Wahrheit und dem Leben identifiziert hat (Johannes 14, 6). Überdies ist
die Leibhaftigkeit ein Prädikat, das besonders gern dem Teufel zugeschrieben
wird, je mehr man sich angewöhnt hat, an seiner Existenz zu zweifeln (vgl.
auch Grimm 1854-1971, 12, 601-603).
179, 11-13 Die werthvollsten Einsichten werden am spätesten gefunden; aber
die werthvollsten Einsichten sind die Methoden.] Bei N.s methodischem
Bewusstsein spielt die frühe philolologisch-historische Schulung eine entschei-
dende Rolle: „Eigentlich habe ich erst in den letzten 10 Jahren mir Kennt-
nisse verschafft; von der Philologie her lernte ich im Grunde nur Metho-
den", schrieb er Overbeck am 13. 07. 1885, KSB 7, Nr. 612, S. 67, Z. 33-35. In AC
52, KSA 6, 233, 16 f. wird das „Unvermögen" des „Theologen" zur Philologie
gerade damit begründet, dass diesem „die Vorsicht, die Geduld, die Feinheit"
(233, 20 f.) fehle, mithin jene Eigenschaften, durch welche die freien Geister in
der christlichen Vergangenheit Misstrauen und Verachtung auf sich gezogen
hätten. Methode — nicht nur die streng philologisch verstandene — ist Vorbe-
dingung jener Redlichkeit und „intellektuellen Rechtschaffenheit", auf die N.
in seiner Auseinandersetzung mit dem Christentum das Schwergewicht legt
(vgl. auch Grau 1958, 178-180 und zu N.s philologischem Methodenbewusst-
sein ausführlich Benne 2005b und zur Entwicklung seines Methodenbegriffs
Denat 2010). Roberty 1887, 171-186 betont die methodischen Mängel der her-
kömmlichen Philosophie und nimmt für seine positivistische „nouvelle philo-
sophie" ein entsprechend avanciertes Methodenbewusstsein in Anspruch.
179, 17 „Feind Gottes"] Die durchaus schon biblische Wendung „Feind Gottes"
(vgl. Jakobus 4, 4: „Wer der Welt Freund seyn will, der wird GOttes Feind
seyn" — Die Bibel: Neues Testament 1818, 287) ist im 19. Jh. in unterschiedli-
chen Kontexten weit verbreitet. Vgl. z. B. Roskoff 1869, 1, 202 oder Heine: Reise-
bilder, 4. Theil, Kapitel 14: „Es giebt aber eine fromme Dialektik, lieber Leser,
die dir aufs bündigste beweisen wird, daß ein Gegner des Kirchthums einer
solchen Staatsreligion auch ein Feind der Religion und des Staats sey, ein
Feind Gottes und des Königs, oder, wie die gewöhnliche Formel lautet: ein
Feind des Throns und des Altars." (Heine 1834, 4, 104) Vgl. auch Kaftan 1888,
296 zum dogmatischen Begriff: „Indem das Christenthum als die Religion der
Versöhnung auftritt, setzt es voraus, daß sich die Menschen ohne Christum in
einem Verhältniß der Feindschaft zu Gott befinden." Zu N. und Kaftan siehe
NK KSA 6, 299, 11-16.
 
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