Stellenkommentar AC 21, KSA 6, S. 187-188 117
gen und in die Willkür seines Gottes, macht es damit individuell unverfügbar
(darauf beruht die auf Paulus zurückgehende, sehr einflussreiche Erbsünden-
lehre von Augustinus), wogegen der Buddhismus jedem Strebenden die Selbst-
erlösung durch Leidensverminderung beibringt. Hier erscheint der Buddhis-
mus keineswegs mehr wie in GM III 17, KSA 5, 380, 32 f. neben dem Christentum
als eine der „so gründlich vermoralisirten Religionen".
188, 3-5 Im Christenthume kommen die Instinkte Unterworfner und Unterdrück-
ter in den Vordergrund: es sind die niedersten Stände, die in ihm ihr Heil suchen.]
Die im zweiten Halbsatz artikulierte Auffassung ist N. in seinen Lektüren bei
Lecky 1879, Baumann 1879 und in den diversen Bänden von Renans Histoire
des origines du Christianisme wiederholt begegnet (vgl. ausführlich Orsucci
1996, 284-303). Der erste Halbsatz ist N.s eigene polemische Pointierung.
188, lO f. Hier fehlt auch die Öffentlichkeit; der Versteck, der dunkle Raum ist
christlich.] Dieser Ansicht hält Hellwald 1876, 1, 553 den archäologischen
Befund zur öffentlichen Sichtbarkeit und Zugänglichkeit der Katakomben ent-
gegen. „Damit widerlegt sich auch die viel verbreitete Annahme von den dunk-
len, im Stillen wachsenden Ursprüngen des Christenthums in Rom. Ganz im
Gegentheile trat es vielmehr sogleich offen zu Tage, weder Dunkel noch Ver-
borgenheit suchend, und es muss ihm augenscheinlich, wie die ältesten Kata-
komben beweisen, gelungen sein, schon sehr frühe mächtige und einflussrei-
che Gönner in der kaiserlichen Capitale zu gewinnen."
Die Vorstellung von den im wahrsten Sinne des Wortes dunklen, unter-
gründigen Ursprüngen des Christentums ist spätestens seit Edward Gibbons
The Decline and Fall of the Roman Empire (1776-1788) topisch, vgl. Sommer
2000a, 217, Fn. 158 u. NK 184, 22. N.s Quelle dürfte Renan gewesen sein, der
z. B. in Les Apotres schreibt: „Cet entassement irregulier de constructions
(eglise, presbytere, ecoles, prison), ces fideles allant et venant en leur petite
cite fermee, ces tombes fraichement ouvertes et sur lesquelles brüle une lampe,
cette odeur cadaverique, cette impression de moisissure humide, ce murmure
de prieres, ces appels ä l'aumöne, forment une atmosphere molle et chaude,
qu'un etranger, par moments, peut trouver assez fade, mais qui doit etre bien
douce pour l'affillie." (Renan 1866, 361. „Diese unregelmäßige Anhäufung von
Bauwerken (Kirche, Presbyterium, Schulen, Gefängnis), diese Gläubigen, die
kommen und gehen in ihre kleine geschlossene Stätte, diese frisch geöffneten
Gräber, auf denen eine Lampe brennt, dieser Kadavergeruch, dieser Eindruck
von feuchtem Schimmel, dieses Murmeln der Gebete, diese Rufe nach Almo-
sen, dies alles fügt sich zu einer weichen und heißen Atmosphäre, die ein
zufälliger Fremder als abgeschmackt empfinden kann, die aber für einen Zuge-
hörigen angenehm sein muss.") Vgl. Orsucci 1996, 302 u. NK 253, 5 f.
gen und in die Willkür seines Gottes, macht es damit individuell unverfügbar
(darauf beruht die auf Paulus zurückgehende, sehr einflussreiche Erbsünden-
lehre von Augustinus), wogegen der Buddhismus jedem Strebenden die Selbst-
erlösung durch Leidensverminderung beibringt. Hier erscheint der Buddhis-
mus keineswegs mehr wie in GM III 17, KSA 5, 380, 32 f. neben dem Christentum
als eine der „so gründlich vermoralisirten Religionen".
188, 3-5 Im Christenthume kommen die Instinkte Unterworfner und Unterdrück-
ter in den Vordergrund: es sind die niedersten Stände, die in ihm ihr Heil suchen.]
Die im zweiten Halbsatz artikulierte Auffassung ist N. in seinen Lektüren bei
Lecky 1879, Baumann 1879 und in den diversen Bänden von Renans Histoire
des origines du Christianisme wiederholt begegnet (vgl. ausführlich Orsucci
1996, 284-303). Der erste Halbsatz ist N.s eigene polemische Pointierung.
188, lO f. Hier fehlt auch die Öffentlichkeit; der Versteck, der dunkle Raum ist
christlich.] Dieser Ansicht hält Hellwald 1876, 1, 553 den archäologischen
Befund zur öffentlichen Sichtbarkeit und Zugänglichkeit der Katakomben ent-
gegen. „Damit widerlegt sich auch die viel verbreitete Annahme von den dunk-
len, im Stillen wachsenden Ursprüngen des Christenthums in Rom. Ganz im
Gegentheile trat es vielmehr sogleich offen zu Tage, weder Dunkel noch Ver-
borgenheit suchend, und es muss ihm augenscheinlich, wie die ältesten Kata-
komben beweisen, gelungen sein, schon sehr frühe mächtige und einflussrei-
che Gönner in der kaiserlichen Capitale zu gewinnen."
Die Vorstellung von den im wahrsten Sinne des Wortes dunklen, unter-
gründigen Ursprüngen des Christentums ist spätestens seit Edward Gibbons
The Decline and Fall of the Roman Empire (1776-1788) topisch, vgl. Sommer
2000a, 217, Fn. 158 u. NK 184, 22. N.s Quelle dürfte Renan gewesen sein, der
z. B. in Les Apotres schreibt: „Cet entassement irregulier de constructions
(eglise, presbytere, ecoles, prison), ces fideles allant et venant en leur petite
cite fermee, ces tombes fraichement ouvertes et sur lesquelles brüle une lampe,
cette odeur cadaverique, cette impression de moisissure humide, ce murmure
de prieres, ces appels ä l'aumöne, forment une atmosphere molle et chaude,
qu'un etranger, par moments, peut trouver assez fade, mais qui doit etre bien
douce pour l'affillie." (Renan 1866, 361. „Diese unregelmäßige Anhäufung von
Bauwerken (Kirche, Presbyterium, Schulen, Gefängnis), diese Gläubigen, die
kommen und gehen in ihre kleine geschlossene Stätte, diese frisch geöffneten
Gräber, auf denen eine Lampe brennt, dieser Kadavergeruch, dieser Eindruck
von feuchtem Schimmel, dieses Murmeln der Gebete, diese Rufe nach Almo-
sen, dies alles fügt sich zu einer weichen und heißen Atmosphäre, die ein
zufälliger Fremder als abgeschmackt empfinden kann, die aber für einen Zuge-
hörigen angenehm sein muss.") Vgl. Orsucci 1996, 302 u. NK 253, 5 f.