Stellenkommentar AC 61, KSA 6, S. 250 299
Grunde." (Müller 1887, 2, 628) Andere Informationsquellen zum mittelalterli-
chen Kaiser waren N. ebenfalls zugänglich, vgl. z. B. Gebhart 1879, 194-205
und Reuter 1877, 2, 253-304, der seine Darstellung der „Aufklärung" im Mittel-
alter mit Friedrich II. abschließt und ihm dabei nicht nur „weltgeschichtliche
Persönlichkeit" (ebd., 258) attestiert, sondern überhaupt die Leugnung „alle[r]
positive[n] Offenbarung" (ebd., 297). Reuter benutzt zur Charakterisierung
zwar nicht den Ausdruck „Freigeist", aber doch immerhin „Freidenker" (ebd.,
299) und „freie[r] Menschengeist" (ebd., 258); wenn schon nicht „Genie", so
ist Friedrich bei Reuter zumindest der „Geniale" (ebd., 260). Der Kampf mit
dem Papsttum sei „der grosse welthistorische": „Diejenigen, welche darin auf-
traten, haben mit Bewusstsein und Absicht um die Weltherrschaft gekämpft."
(Ebd., 261) Das von Friedrich erlassene Gesetzbuch Siziliens ähnelt mit seinem
absolutistischen Autoritarismus in Reuters Werk (ebd., 265 ff.) übrigens dem
Manu-Gesetz in AC. Schließlich nimmt das, was in AC 60 „Freundschaft mit
dem Islam" heißt, bei Reuter breiten Raum ein (ebd., 290-304). Reuters Buch
steht bei N. auf einer Lese- oder Aquisitionsliste (NL 1887, KSA 12, 10[120], 526 =
KGW IX 6, W II 2, 56, 2-12). Vgl. zu Friedrich II. von Hohenstaufen auch NK
KSA 6, 340, 24-30.
250, 11-14 Wie? muss ein Deutscher erst Genie, erst Freigeist sein, um anstän-
dig zu empfinden? — Ich begreife nicht, wie ein Deutscher je christlich emp-
finden konnte...] Die Unfreundlichkeiten, die sich der „deutsche Adel" genauso
wie die „Germanen" in den letzten Abschnitten von AC gefallen lassen müssen,
verraten deutlich, dass es nur vordergründig um die Geschichte des Mittelalters
geht. (Der französische Adel hätte sich in Sachen „Christlichkeit" wohl noch
mehr vorzuwerfen als der deutsche.) Vielmehr ist die Kritik am modernen
Deutschtum leitend — nicht zuletzt an den Vertretern einer gründerzeitlichen
Führungselite, die sich immer noch dem Christentum andient (vgl. AC 38,
KSA 6, 211, 2-5 u. 6-8).
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250, 17-251, 1 Die Deutschen haben Europa um die letzte grosse Cultur-Ernte
gebracht, die es für Europa heimzubringen gab, — um die der Renaissance.
Versteht man endlich, will man verstehn, was die Renaissance war? Die
Umwerthung der christlichen Werthe, der Versuch, mit allen Mitteln,
mit allen Instinkten, mit allem Genie unternommen, die Gegen-Werthe, die
vornehmen Werthe zum Sieg zu bringen... Es gab bisher nur diesen grossen
Krieg, es gab bisher keine entscheidendere Fragestellung als die der Renais-
Grunde." (Müller 1887, 2, 628) Andere Informationsquellen zum mittelalterli-
chen Kaiser waren N. ebenfalls zugänglich, vgl. z. B. Gebhart 1879, 194-205
und Reuter 1877, 2, 253-304, der seine Darstellung der „Aufklärung" im Mittel-
alter mit Friedrich II. abschließt und ihm dabei nicht nur „weltgeschichtliche
Persönlichkeit" (ebd., 258) attestiert, sondern überhaupt die Leugnung „alle[r]
positive[n] Offenbarung" (ebd., 297). Reuter benutzt zur Charakterisierung
zwar nicht den Ausdruck „Freigeist", aber doch immerhin „Freidenker" (ebd.,
299) und „freie[r] Menschengeist" (ebd., 258); wenn schon nicht „Genie", so
ist Friedrich bei Reuter zumindest der „Geniale" (ebd., 260). Der Kampf mit
dem Papsttum sei „der grosse welthistorische": „Diejenigen, welche darin auf-
traten, haben mit Bewusstsein und Absicht um die Weltherrschaft gekämpft."
(Ebd., 261) Das von Friedrich erlassene Gesetzbuch Siziliens ähnelt mit seinem
absolutistischen Autoritarismus in Reuters Werk (ebd., 265 ff.) übrigens dem
Manu-Gesetz in AC. Schließlich nimmt das, was in AC 60 „Freundschaft mit
dem Islam" heißt, bei Reuter breiten Raum ein (ebd., 290-304). Reuters Buch
steht bei N. auf einer Lese- oder Aquisitionsliste (NL 1887, KSA 12, 10[120], 526 =
KGW IX 6, W II 2, 56, 2-12). Vgl. zu Friedrich II. von Hohenstaufen auch NK
KSA 6, 340, 24-30.
250, 11-14 Wie? muss ein Deutscher erst Genie, erst Freigeist sein, um anstän-
dig zu empfinden? — Ich begreife nicht, wie ein Deutscher je christlich emp-
finden konnte...] Die Unfreundlichkeiten, die sich der „deutsche Adel" genauso
wie die „Germanen" in den letzten Abschnitten von AC gefallen lassen müssen,
verraten deutlich, dass es nur vordergründig um die Geschichte des Mittelalters
geht. (Der französische Adel hätte sich in Sachen „Christlichkeit" wohl noch
mehr vorzuwerfen als der deutsche.) Vielmehr ist die Kritik am modernen
Deutschtum leitend — nicht zuletzt an den Vertretern einer gründerzeitlichen
Führungselite, die sich immer noch dem Christentum andient (vgl. AC 38,
KSA 6, 211, 2-5 u. 6-8).
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250, 17-251, 1 Die Deutschen haben Europa um die letzte grosse Cultur-Ernte
gebracht, die es für Europa heimzubringen gab, — um die der Renaissance.
Versteht man endlich, will man verstehn, was die Renaissance war? Die
Umwerthung der christlichen Werthe, der Versuch, mit allen Mitteln,
mit allen Instinkten, mit allem Genie unternommen, die Gegen-Werthe, die
vornehmen Werthe zum Sieg zu bringen... Es gab bisher nur diesen grossen
Krieg, es gab bisher keine entscheidendere Fragestellung als die der Renais-