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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0393
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370 Ecce homo. Wie man wird, was man ist

früher, als er's mir zeigte, gelegen hatte. Seien wir froh, dass wir's haben! Es
muss aber nun auch wirklich vernichtet werden! — Wenn es auch klar ist,
dass es bereits im vollen Wahnsinn geschrieben wurde, so wird es doch immer
wieder Menschen geben, die da sagen: eben desshalb sei es von Bedeutung,
denn hier redeten ohne Scheu die Instinkte voller Wahrhaftigkeit" (KSA 14,
461).
Zugleich aber hat Köselitz selbst eine Kopie des fraglichen Blattes angefer-
tigt, das Montinari in seinem Nachlass in Weimar wiederentdeckt hat und das
die Überschrift trägt: „Copie eines Bogens, den Nietzsche, bereits in vollem
Wahnsinn, an Naumann während des Drucks von Ecce homo schickte (Ende
December von Turin aus)." Erst später scheint Köselitz die Worte „bereits in
vollem Wahnsinn" gestrichen zu haben. Nachdem Köselitz endgültig mit Elisa-
beth Förster-N. gebrochen hatte, und der fünfte Band der Gesammelten Briefe
mit diversen verfälschten Briefen an Mutter und Schwester erschienen war,
schrieb Köselitz am 23. Juni 1909 an Ernst Holzer: „In Ihrer letzten Karte sagten
Sie: die Briefe (V) zeigten Nietzsches enge Beziehung zur Schwester über allen
Zweifel erhaben. Jajajajaja! Die enge Beziehung machte aber viel Überwindung
nöthig. Wie krampfhaft diese Überwindung bei Nietzsche war, wurde erst sicht-
bar kurz vor Ausbruch des Wahnsinns: nämlich als Nietzsche das große Ecce-
Nachtrags-Folioblatt über Mutter und Schwester an Naumann sandte. Da redete
der von seiner Gutspielerei endlich angeekelte Nietzsche frank und frei, und
Vernichtenderes ist noch nie über Menschen gesagt worden, wie auf diesem
Blatt." (KSA 14, 462) An der Authentizität des in Köselitz' Abschrift überliefer-
ten Textes kann angesichts von zwei Vorstufen in Mp XVIII kaum ein Zweifel
bestehen, so dass die Entscheidung der Herausgeber von KGW und KSA, diesen
Text als Abschnitt Warum ich so weise bin 3 anstelle des früheren, von N.
schließlich verworfenen, der in allen Druckausgaben davor erschienen war, ins
Textkorpus aufzunehmen, gerechtfertigt erscheint.
Die beiden Vorarbeiten aus Mp XVIII lauten: „Ich berühre hier die Frage
der Rasse. Ich bin ein polnischer Edelm(ann) pur sang, dem auch nicht ein
Tropfen schlechtes Blut beigemischt ist, am wenigsten deutsches. Wenn ich
den tiefsten Gegensatz zu mir suche, die unausrechenbare Gemeinheit der In-
stinkte, so finde ich immer meine Mutter und Schwester: mit solcher deutschen
canaille mich verwandt zu sehen war eine Lästerung auf meine Göttlichkeit.
Die Behandlung die ich bis heutigem Tag von Seiten meiner Mutter und
Schwester erfahre flößt mir ein ungeheures Grauen ein — ich bekenne, daß
der tiefste Einwand gegen meinen Gedanken der ewigen Wiederkunft das was
ich einen abgründlichen Gedanken nenne, immer der Gedanke an meine Mut-
ter und Schwester war... Aber noch als Pole bin ich ein ungeheurer Atavismus:
man muß Jahrhunderte zurückgehn, um diese vornehmste Rasse Mensch, die
 
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