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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0621
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598 Ecce homo. Wie man wird, was man ist

360, 7 f. Leibniz und Kant — diese zwei grössten Hemmschuhe der intellektuel-
len Rechtschaffenheit Europa's!] Eine ähnliche Formulierung benutzte N. in AC
10, KSA 6, 177, 3-5. Als Repräsentanten einer „alten", nicht mehr aktualisierba-
ren Philosophie fand N. Leibniz und Kant bei Roberty 1887, 32 f. bzw. 35-42
(Lesespuren N.s) charakterisiert.
360, 8-15 Die Deutschen haben endlich, als auf der Brücke zwischen zwei deca-
dence-Jahrhunderten eine force majeure von Genie und Wille sichtbar wurde,
stark genug, aus Europa eine Einheit, eine politische und wirtschaftliche
Einheit, zum Zweck der Erdregierung zu schaffen, mit ihren „Freiheits-Kriegen"
Europa um den Sinn, um das Wunder von Sinn in der Existenz Napoleon's
gebracht] Zu N.s Abscheu vor den antinapoleonischen ,Befreiungskriegen', in
deren Folge die deutschen Kleinstaaten zumindest teilweise restauriert wur-
den, siehe NK KSA 6, 251, 27-252, 8.
360, 17-19 den Nationalismus, diese nevrose nationale, an der Europa
krank ist, diese Verewigung der Kleinstaaterei Europa's, der kleinen Politik]
Die französische Wendung „nevrose nationale" („nationale Nervenkrankheit")
ist vor N. kaum belegt; N. dürfte sie selbst gebildet haben, nachdem er bei-
spielsweise Wagner als „nevrose" meinte qualifizieren zu müssen, siehe NK
KSA 6, 22, 33.
Das Gegenstück zur „kleinen Politik", der Politik der partikularen
(Klein-)Staatsinteressen, wird in N.s Spätwerk „grosse Politik", die es nach N.s
Selbsteinschätzung erst von ihm an gebe (EH Warum ich ein Schicksal bin 1,
KSA 6, 366, 16 f., vgl. NK KSA 6, 84, 13). 360, 17-19 klingt nach einer paneuropä-
ischen Vision, die die rhetorische Vorlage für manche europapolitischen Ver-
lautbarungen nach dem Zweiten Weltkrieg geliefert zu haben scheint. Aller-
dings ist nicht zu verkennen, dass N. einerseits an eine gewaltsame Einigung
Europas nach dem Vorbild Napoleons dachte, andererseits diesem Europa eine
„Umwerthung aller Werthe" verordnete, welche die ,christlich-abendländi-
schen Werte', auf die sich heutige Europa-Politiker berufen, prinzipiell negiert.
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360, 26-28 Die Deutschen werden auch in meinem Falle wieder Alles versu-
chen, um aus einem ungeheuren Schicksal eine Maus zu gebären.] Das spielt auf
die berühmte Zeile in Horaz: Ars poetica 139 an: „Parturient montes, nascetur
ridiculus mus." („Die Berge werden kreißen und eine lächerliche Maus wird
geboren werden.") In Za IV Vom höheren Menschen, KSA 4, 357, 10 f. hatte N.
in einer hoffnungsvoller klingenden Adaption von Horaz' skeptischem Spruch
 
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