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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0675
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652 Dionysos-Dithyramben

„- Still!
Eine Wahrheit wandelt über mir
einer Wolke gleich, —
mit unsichtbaren Blitzen trifft sie mich.
komm, komm, geliebte Wahrheit!
- Still!
Meine Wahrheit ists!" (408, 7-15)
(3) Ein drittes Leitmotiv, das in drei aufeinanderfolgenden Dionysos-Dithyram-
ben aufklingt, ist die Einsamkeit. N. thematisierte sie auch in anderen Werken,
besonders intensiv im Zarathustra, wo er das Kapitel Die Heimkehr mit dem
Ausruf beginnt: „Oh Einsamkeit! Du meine Heimat Einsamkeit!" (KSA 4, 231,
2) In vielen Briefen, namentlich an den Freund Franz Overbeck beklagte er
Einsamkeit als sein menschliches und geistiges Schicksal. Am 12. 11. 1887
schrieb er: „ich war dergestalt schon als Kind allein, ich bin es heute noch, in
meinem 44ten Lebensjahre. Dieses schreckliche Jahrzehend, das ich hinter mir
habe, hat mir reichlich zu kosten gegeben, was Allein-sein, Vereinsamung bis
zu diesem Grade, bedeutet: die Vereinsamung und Schutzlosigkeit eines Lei-
denden" (KSB 8, Nr. 951, S. 196, Z. 21-26). Und schon einige Monate früher, am
17. 06. 1887, gestand er dem Freund: „Diese letzten Jahre auszuhalten — das
war vielleicht das Schwerste, was mir überhaupt mein Schicksal bisher zuge-
muthet hat. Nach einem solchen Anrufe, wie mein Zarathustra es war, aus der
innersten Seele heraus, nicht einen Laut von Antwort zu hören, nichts, nichts,
immer nur die lautlose, nunmehr vertausendfachte Einsamkeit — das hat etwas
über alle Begriffe Furchtbares" (KSB 8, Nr. 863, S. 93 f., Z. 14-21). Solche Ein-
samkeit ergibt sich in dem Dionysos-Dithyrambus Zwischen Raubvögeln aus der
Ausnahmestellung, die den wagemutigen Denker über alle Normalität wie auf
eine steil abstürzende Gebirgshöhe erhebt, auf die ihm, aus Scheu vor dem
Blick in den Abgrund, niemand folgen mag:
„Einsam!
Wer wagte es auch,
hier Gast zu sein,
dir Gast zu sein?..." (389, 18-21)
Einsamkeit resultiert aber auch, wie aus dem weiteren Verlauf dieses Dithyram-
bus hervorgeht, aus einer Verfallenheit an sich selbst, die dazu führt, dass das
Ich immer tiefer in sich selbst einzudringen versucht und in endloser Selbstre-
flexion sich selbst zu verlieren und zu untergraben droht:
 
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