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Raible, Wolfgang; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1993, 1. Abhandlung): Sprachliche Texte - genetische Texte: Sprachwissenschaft und molekulare Genetik ; vorgetragen am 28. November 1992 — Heidelberg: Winter, 1993

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48167#0018
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Wolfgang Raible

Er war es auch, der im selben Jahr die Ansicht vertrat, der geneti-
sche Code würde wohl eine Struktur haben, die sich aus dem Wort-
paar AMOR und ROMA ergebe, also in Form einer Permutation
derselben Buchstaben.
Die jüngere Geschichte dürfte allgemein bekannt sein: 1953
haben Francis Crick und James Watson die Struktur der Nuklein-
säure Mieschers entdeckt, nämlich die Doppelhelix der Desoxyribo-
nukleinsäure (DNS - im folgenden der Prägnanz halber häufig
„genetischer Lochstreifen“ genannt). Seither wissen wir, daß Mie-
schers und Schrödingers Visionen richtig waren. Die gesamte
Erbinformation ist nicht etwa in der Art von Tausenden und Aber-
tausenden von Schrift-Ideogrammen, sondern als geordnete Folge
von Paaren komplementärer Nukleotide im Genom eines jeden
Zellkerns kodiert.
Die folgende Abbildung macht die Verhältnisse anschaulich:
links sieht man das Prinzip der beiden Bänder der Doppelhelix:
jedes Band hat gewissermaßen ein Rückgrat aus Zucker- und Phos-
phatgruppen, an die jeweils eines der vier Nukleotide angebunden
ist. Das sind die sogenannten „Buchstaben des genetischen Alpha-
bets“, abgekürzt als A, T, G und C gekennzeichnet8. Je zwei dieser
Nukleotide sind komplementär - einem A steht immer ein T, einem
C immer ein G gegenüber. In der rechten Hälfte der Abbildung wird
die räumliche Struktur der Doppelhelix deutlich. So, wie bei einem
Gewinde Furchen um einen Kreiszylinder laufen, hat auch die Dop-
pelhelix Furchen, und zwar zwei unterschiedlich tiefe. Sie sind in
Abbildung 1 mit „minor groove“ und „major groove“ bezeichnet.
Wenn ein Informationsstrang aus dem genetischen Lochstreifen
übersetzt werden soll in die ihm entsprechende Sequenz von Ami-
nosäuren, dient der eine der beiden Stränge der Doppelhelix als
Schablone für eine Kopie. Die Kopie besteht aus einer Ribonuklein-
säure-Kette, abgekürzt RNS (mRNA steht für „messenger RNA“).
Das Nukleotid T ist in der Ribonukleinsäure-Kopie jeweils durch
ein U (für Uracil) ersetzt. Je drei „Buchstaben“ in der Kopie des
RNS-Strangs (bzw. die ihnen entsprechenden „Buchstaben“ aus der
DNS-Sequenz) bilden ein „Wort“ oder, wie es in Abbildung 1 heißt,
ein „Codon“. Wo die Wörter unserer menschlichen Sprachen eine
Bedeutung haben, die auf zu Bezeichnendes verweist, haben die
„genetischen Wörter“ aus drei Buchstaben jeweils eine aus etwa 20
8 Die Buchstaben stehen als Abkürzung für Adenin, Thymin, Guanin und Cyto-
sin.
 
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